0062 - Der tödliche Zauber
einfach zu stark…
***
Delgado Ruiz und Professor Zamorra schauten sich entsetzt an. Delgado Ruiz rannte als erster los. Er kannte sich in dem Lager aus und konnte den Schrei besser lokalisieren. Zamorra folgte ihm.
Ruiz brach wie ein Stier in eine lichte Buschgruppe und stürmte weiter. Zamorra tat es ihm nach und kümmerte sich nicht um die Zweige, die sein Gesicht peitschten und sein Hemd zerfetzten.
Namenlose Angst um Nicole erfüllte ihn. Wie oft war es ihm bisher gelungen, sie vor dem Schlimmsten zu bewahren, und schon oft hatte er sich Gedanken darüber gemacht, ob er es verantworten konnte, mit ihr zusammenzubleiben, wußte er doch, daß jedes neue Abenteuer, das er zu bestehen hatte, an ihren Nerven zerrte und sie nicht gerade ruhiger schlafen ließ. »Hier, Monsieur, hier entlang!«
Das war Delgado Ruiz’ heisere Stimme, an der er sich orientieren konnte. Im Mondlicht konnte er erkennen, daß sie sich auf einem freien Feld hinter dem Zigeunerlager befanden.
Was er sah, war gespenstisch.
Rechts von ihm stand Nicole, die wie gebannt das Geschehen verfolgte, das sich vor ihren Augen abspielen sollte.
Ein Stück entfernt stand Bill Fleming, vor ihm offensichtlich eine Frau. Der Stahl eines Messers blitzte im Mondschein, und die Klinge berührte den Hals des Freundes.
»Mercedes! Halt ein!« brüllte Ruiz. »Mach dich nicht unglücklich. Was ist in dich gefahren?«
Der Kopf der Frau zuckte hoch.
Zamorra, der sich weiter den beiden wie erstarrt Dastehenden genähert hatte, sah ein Gesicht von fast überirdischer Schönheit, ein Gesicht, dem ein Mann verfallen mußte, wenn er noch nicht jenseits von Gut und Böse war.
Ruiz stürmte weiter. Mit einem letzten Satz erreichte er seine Tochter und stieß sie beiseite. Dabei zuckte die Messerklinge gegen den Hals Bill Flemings und riß eine leichte Wunde. Ein dünner Blutfaden kroch den Hals hinunter und versickerte im Hemdkragen.
Nicole kreischte auf, weil sie meinte, die Frau hätte im letzten Augenblick zugestochen.
Sie stürzte vor und fing Bill Fleming auf, der im Zeitlupentempo zu Boden sank. Die Anspannung der letzten Minuten war zu viel für ihn. Seine Beine trugen ihn nicht mehr.
Ruiz gebärdete sich wie ein Rasender. Er sprang zu seiner Tochter hin, packte sie am Arm und schleuderte sie brutal zu Boden.
Er ballte die Hand zur Faust und wollte wie von Sinnen auf sie einschlagen, als Zamorra ihn erreichte und ihm in den Arm fiel.
»Lassen Sie sie in Ruhe! Meinen Sie denn im Ernst, es hilft uns weiter, wenn Sie sie verprügeln?«
Ruiz schluchzte auf.
»Meine Tochter – eine Mörderin! Warum nur, warum? Wie konnte sie das nur tun?« Der Zigeuner ließ die Hand sinken. Als läge eine ungeheure Last auf seinen Schultern, so stand er da und schaute auf seine Tochter hinunter.
Diese lag auf dem Boden und hatte alles mit weitaufgerissenen Augen verfolgt. Es schien fast, als würde sie aus einer Trance erwachen, in der sie sich die ganze Zeit befunden haben mußte.
Entsetzt starrte sie auf das Messer, das sie immer noch in der Hand hielt. Angeekelt warf sie es fort. Es wirbelte durch die Luft und bohrte sich einige Meter entfernt in das weiche Erdreich.
Zamorra kniete sich nieder und half der Frau auf die Beine. Dankbar lächelte sie ihn an.
»Sie sind also Mercedes«, sagte Zamorra behutsam, als spräche er mit einem verängstigten Kind. »Ich habe Ihren Namen bereits gehört. In einem Hotel in Saintes-Maries-de-la-Mer liegt jemand, der mir sehr viel von Ihnen erzählt hat.«
Ein Leuchten trat in die Augen der Frau.
»Gert – wie geht es ihm? Was ist los?«
Zamorra legte seinen Arm um ihre Schultern.
»Ihm geht es soweit gut. Er hat sich allerdings auf eine schreckliche Art und Weise verändert, wenn man das glauben kann, was er mir erzählt hat.«
Mercedes Ruiz nickte schwerfällig.
»Ja – es stimmt. Ich bin für die schreckliche Verwandlung verantwortlich – und ich kann nichts tun, um ihn zu retten. Ich darf nichts tun, sonst bringe ich die ganze Sippe in Gefahr. Der Schwarze Branko kennt keine Gnade!«
Mit diesen Worten wandte sie sich um und rannte in den Wald.
Zamorra wollte ihr folgen, doch Delgado Ruiz, der die Unterhaltung zwischen dem Professor und seiner Tochter verfolgt hatte, hielt ihn fest.
Er schüttelte den Kopf. Seine Augen waren voller Tränen. »Nein, Monsieur. Laufen Sie nicht hinterher. Kehren Sie lieber dahin zurück, woher Sie gekommen sind. Sie kennen nun unser Geheimnis. Bringen Sie sich und Ihre Freunde
Weitere Kostenlose Bücher