0062 - Der tödliche Zauber
Täubchen, wirst du mich mit seiner Jugend versorgen.«
Mercedes schüttelte den Kopf.
»Nein, Meister, nicht das. Ich kann nicht mit ansehen, was aus denen wird, die sich durch mich in deinen Einfluß begeben. Verschone mich, ich bitte dich!«
Der Schwarze Branko lachte meckernd auf.
»Verschonen? Wen soll ich verschonen. Vergiß nicht, du bist jetzt eine von uns. Einmal hast du deinen Auftrag bereits ausgeführt. Und wenn du gestorben bist, dann wird deine Seele mit der Heerschar der anderen, die ich bereits unter meinen Einfluß habe bringen können, vereint werden. Ihr seid alle meine Dienerinnen, die mir jeden Wunsch von den Augen ablesen.«
Bill Fleming war stehengeblieben. Völlig perplex starrte er auf die Szene. Er glaubte, den Verstand zu verlieren. Jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. In seiner Verblendung hatte er sich eingebildet, das Mädchen retten zu können, doch er mußte einsehen, daß er hier überhaupt nichts tun konnte.
Oder etwa doch?
Der Schwarze Branko ergriff die Hand der Frau und riß sie mit einem brutalen Ruck vom Boden hoch.
Mercedes schrie auf, dann flog sie in den Wagen. Ein dumpfes Poltern hallte über die nächtliche Lichtung.
Bill Fleming war das zuviel. Er konnte nicht mehr tatenlos zusehen. Er mußte eingreifen.
Wie ein Panzer beim Angriff so setzte er sich in Bewegung. Er stürmte über die Lichtung und rannte fäusteschwingend auf den Wagen zu.
Die Rappen vor dem Wagen wurden immer nervöser. Fast schien es, als wollten sie durchgehen. Laut schnaubend bliesen sie die Atemluft durch die Nüstern.
Bill Fleming umrundete den Wagen, dann nahm er Anlauf und schwang sich auf den Kutschbock.
Zamorra hörte sich aufschreien. Wild gestikulierend rannte er hinaus auf die Lichtung, um noch zu retten, was zu retten war.
Da tauchte hinter Bill Fleming aus dem Innern des Wagens der Schädel des Schwarzen Branko auf.
»Wir haben sogar einen Kutscher«, sagte er kichernd.
Bill Fleming zuckte herum, sah den Alten und streckte seine Hände aus, um sie dem Unheimlichen um den Hals zu legen.
Doch der Alte schlug sie beiseite.
Aus dem Wagen holte er eine Peitsche. Die Rappen schienen es bereits zu ahnen. Mit einem heftigen Ruck legten sie sich ins Geschirr.
Bill Fleming, der darauf nicht vorbereitet war, flog wie eine Stoffpuppe nach hinten.
Zamorra schrie etwas. Er wollte die Aufmerksamkeit auf sich lenken, wollte den Wagen aufhalten – doch es war ein sinnloses Unterfangen.
Unaufhaltsam setzte sich der Wagen in Bewegung. Er gewann immer mehr an Fahrt.
Zamorra war nur noch ein kurzes Stück entfernt. Mit der Kraft der Verzweiflung sprang er, versuchte die Kante der Ladefläche zu packen und sich mitschleifen zu lassen. Kampflos durfte er den Freund nicht aufgeben.
Doch er sprang zu kurz. In dem Moment, wo Zamorra glaubte, sein Ziel erreicht zu haben, machte der Wagen einen heftige Satz nach vorn.
Zamorra griff ins Leere und stürzte schwer auf den Boden. Er krachte mit der Stirn auf eine Baumwurzel und blieb einige Sekunden benommen liegen.
Als er wieder hochschaute, hatte sich der unheimliche Zigeunerwagen bereits in die Lüfte erhoben.
Zamorra konnte ihn nur noch als schimmernden Lichtfleck am Firmament ausmachen.
Ohnmächtig schluchzte er auf.
Dort oben war Bill Fleming – in den Klauen eines rasenden Dämons, der sicher nichts Eiligeres zu tun hatte, als sich des störenden Menschen zu entledigen.
***
Ein stechender Schmerz in ihrer Hüfte ließ Nicole Duval langsam wieder in die Wirklichkeit zurückkehren. Es dauerte einige Sekunden, ehe sie wieder wußte, wo sie war.
Doch damit war ihr im Augenblick auch nicht geholfen. Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, was geschehen war.
Erst einmal setzte sie sich bequem hin und entspannte sich. Sie bewegte ihren Kopf hin und her und massierte ihren Nacken.
Hatte sie das alles nur geträumt? Oder hatte sich ihr wirklich eine brutale Männerhand auf den Mund gelegt und hatte ihr die Atemluft geraubt?
Fast spürte sie noch den Druck der Hand. Ihre Zunge tastete über die Unterlippe. Nicole zuckte zusammen. Sie hatte eine kleine Wunde berührt. Bei dem verzweifelten Kampf gegen den Angreifer mußte sie sich selbst gebissen haben.
Da fiel ihr ein, daß sie ja nicht allein gewesen war.
»Bill!«
Was ein Schrei sein sollte, war mehr ein mattes Flüstern.
Sie drehte sich um, der Rücksitz war leer. Außerdem stand die Tür an der Beifahrerseite offen. Der Sitz war noch nach vorn geklappt.
Sollte Bill
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