0062 - Wir fanden die geballte Ladung
der Mittagsmahlzeit keines Blickes gewürdigt hatten.
»Hallo, Mary!«, sagte seine zittrige Stimme. »Das ist ein seltsamer Zufall, was, dass wir uns gerade auf einem Schiff wieder begegnen müssen.«
Die Lady sah von ihrem Tee auf und schnaufte: »Wie kommst du dazu, mich anzusprechen, Mac?«
Der Alte wich erschrocken einen Schritt zurück.
»Na, hör mal«, protestierte er schwach, »wir waren immerhin…«
»Wir waren, wir waren!«, bellte die Lady. »Kannst du dich nicht daran gewöhnen, dass die Vergangenheit vorbei ist?«
Irgendwie tat mir der alte Mann leid. Ich sah, wie er sich vorbeugte und leise zu der protzhaften Frau sagte: »Du bist der gemeinste Schuft, den ich je in meinem Leben gesehen habe, Mary. Und das will etwas heißen!«
»Verschwinde von meinem Tisch oder ich rufe den Steward!«
»Na, ruf ihn doch!«, kicherte der Alte plötzlich. »Die Zeiten sind vorbei, wo du noch jung und hübsch warst, wo dir jeder jeden Gefallen getan hätte. Ruf ihn doch! Du wirst sehen, dass es ihm nicht den leisesten Spaß machen würde, dir einen Gefallen tun zu müssen.«
Mac Odrive drehte sich um und ging zu einem Tisch, der am anderen Ende des Speisesaales stand. Dort setzte er sich und ließ sich, wie wir sehen konnten, statt des Tees heiße Milch servieren.
Er hatte gerade Platz genommen, als Jose Diegos, der Kaffeehändler, den Speisesaal betrat. Er sah sich suchend um und steuerte dann ebenfalls auf Lady Lesfor zu.
»Würden Sie einem einsamen Mann gestatten, die Gesellschaft einer verehrenswerten Dame zu genießen?«, flötete er wie ein verliebter Geck.
Lady Lesfor stellte ihre Tasse zurück auf den Tisch, nickte gnädig und säuselte: »Aber gern, mein Lieber. Man soll sympathische Menschen nicht durch unnötige Abweisungen verletzen. Setzen Sie sich! Ich freue mich, dass Sie gekommen sind.«
Und das sagte sie alles mit ihrem Grabesbass. Phil und ich sahen uns an und mussten uns Mühe geben, nicht in ein schallendes Gelächter aufzubrechen.
Wenn Leute zwischen sechzig und siebzig auf einmal anfangen, Süßholz zu raspeln wie verliebte Oberschüler, dann wirkt das ungemein komisch.
***
Wir kümmerten uns nicht weiter um die beiden alten Leute vor unserer Tarnung, sondern überlegten leise, wie wir es anstellen könnten, unseren Tisch zu räumen, ohne dass Lady Lesfor es merken konnte. Schließlich hatten wir auch einigen Appetit auf eine gute Tasse Tee mit einem gehörigen Schuss Rum.
Noch bevor wir zu einem Resultat kamen, stand plötzlich der ewig grinsende Juan Verez vor uns.
»Hallo, meine Herren«, grüßte er mit einer saloppen Geste. »Darf man sich hier ein bisschen mit niederlassen? Die anderen Tische an den Wänden sind besetzt, und ich sitze nicht gern in der Mitte. Man kommt sich da immer wie auf dem Präsentierteller vor.«
»Aber setzen Sie sich doch«, nickte Phil. »Wir sind gar nicht abgeneigt, Gesellschaft zu kriegen.«
, »Danke.«
Der schwarzhaarige Agent nahm bei uns Platz.
»Meine Güte«, stöhnte er, »das ist aber eine himmlische Barrikade, die Sie da vor uns aufgebaut haben. Hier sieht uns der Steward nie. Warten Sie, ich werde mich mal bemerkbar machen!«
Er stieß sich mit den Fußspitzen von unserem Tisch ab, sodass er mit dem ganzen Sessel eine Schlidderpartie nach hinten machte. Als er mit der Rückenlehne seines Sessels gegen die Wand stieß, gab es einen ziemlichen Bums.
Juan Verez fand das ungeheuer lustig und winkte uns fröhlich zu.
»Hallo, Steward!«, rief er quer durch den Speisesaal. »Kommen Sie mal hinter diesen Dschungel hier! Drei durstige Seelen erbitten Ihren werten Besuch!«
Mit seinen Armen gab er sich wieder einen Stoß, sodass der Sessel über das spiegelblanke Parkett wieder auf unseren Tisch zuschoss. Phil fing ihn mit vorgestreckten Füßen ab.
»Wenn das wenigstens ein anständiges Schiff wäre«, lachte Verez, »dann wäre es gerade soweit seeempfindlich, dass der Seegang die Sessel von allein hin und her dirigieren würde. Aber sogar das muss man selbst machen!«
Wir lachten. Verez war wirklich eine lustige Figur. Er sprudelte förmlich von Witzen und Scherzen. Wir kamen aus dem Lachen kaum heraus. Als wir dann noch die Wirkung des Rums im Tee verspürten, kümmerten wir uns den Teufel um die in einem Speisesaal übliche Ruhe und benahmen uns, als ob wir hier zu Hause wären. Vielleicht entging uns durch diese Lautstärke unserer eigenen Unterhaltung die auch nicht geringe Stärke des Gesprächs, das Holsday mit seiner Frau
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