0062 - Wir fanden die geballte Ladung
ganzen Geschichte noch völlig im Dunkeln.«
Auf dem Gang zum Speisesaal erörterten wir einige Theorien, kamen aber zu keinem Anhaltspunkt, der uns Erfolg versprechend genug erscheinen konnte, um mit ihm zu arbeiten. Wir unterbrachen das Gespräch und nahmen an der großen Tafel Platz, wo bereits einige Passagiere saßen. Wir tranken einen Cherry und warteten auf den Beginn der Mahlzeit.
Das Ehepaar Holsday führte bereits wieder ehelichen Kleinkrieg. Sie schienen sich dauernd über die üblichen Belanglosigkeiten zu streiten, wegen der sich nur Ehepaare ständig in den Haaren liegen können.
Pünktlich mit dem letzten Gong erschien der Kapitän und eröffnete die Tafel, nachdem er sich vergewissert hatte, dass alle Passagiere anwesend waren. Auch Ferrerez und der blonde deutsche Ingenieur gehörten wieder zur Tafelrunde.
Das Essen war vorzüglich und bestand aus mehreren Gängen, denen wir uns mit Genuss widmeten. Bald flackerte ein Gespräch auf, an dem sich alle Tischgäste mehr oder weniger eifrig beteiligten. Ganz nebenbei erwähnte der Kapitän einmal zu uns: »Ihr Telegramm ist leider noch nicht eingetroffen.«
Wir erwiderten etwas Unverfängliches darauf.
Die Höllenmaschine war also auch in den letzten Schiffsräumen nicht gefunden worden. Ich war davon überzeugt, dass man sehr gründlich gesucht hatte. Wenn man die Bombe trotzdem nicht entdeckt hatte, gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder befand sie sich tatsächlich in einer Kabine oder im Gepäck eines Passagiers oder sie war so raffiniert getarnt und versteckt worden, dass man sie trotz sorgfältigster Suche nicht entdeckt hatte.
Im Gegensatz zu Phil, der an die ganze Sache nicht recht glauben wollte, nahm ich den Zettel, den Conder in seiner Kajüte gefunden hatte, ziemlich ernst.
Als die Mahlzeit beendet war, klopfte Conder an sein Weinglas und erhob sich. Man sah es ihm an, dass er es ungern tat.
»Ladies und Gentlemen«, sagte er. »Als Kapitän dieses Schiffes habe ich Ihnen etwas Betrübliches mitzuteilen. Es besteht kein Grund zu irgendwelchen Beunruhigungen, aber ich muss meinen Pflichten nachkommen. Aus Gründen, die ich Ihnen nicht nennen kann, muss ich Sie um die Erlaubnis bitten, von meinen Offizieren, selbstverständlich in Ihrer Gegenwart, Ihre Kabinen und Gepäckstücke durchsuchen zu lassen…«
Conder brach ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Man konnte ihm vom Gesicht ablesen, was er dachte: So etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert.
Zuerst herrschte einen Augenblick lang überraschtes Schweigen. Dann sprang Holsday auf und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Weingläser anfingen zu wackeln.
»Das kommt überhaupt nicht infrage!«, schrie er mit hochrotem Kopf. »Dazu gebe ich nie im Leben meine Einwilligung!«
Conder schluckte. Aufgeregtes Stimmengewirr brandete plötzlich durch den Speisesaal.
»Und wenn dabei etwas von meinem Schmuck wegkommt?«, keifte Lady Lesfor.
Ferrerez stand ebenfalls auf und versuchte, seinem Kapitän beizustehen. Freilich machte er es ziemlich ungeschickt.
»Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass sich unter den Offizieren dieses Schiffes ein Dieb befinden könnte?«, fragte er schärfer als nötig war.
»Ich behaupte überhaupt nichts, junger Mann«, brummte Lady Lesfors abgrundtiefer Bass. »Ich empfinde es aber als eine unerhörte Zumutung, mein Gepäck durchschnüffeln zu lassen!«
»Sehr richtig«, gackerte der Kaffeegroßhändler Diegos. »Sehr richtig! Ich kann der Lady nur beipflichten! Meine Genehmigung bekommen Sie jedenfalls nicht! Niemals!«
Conder blickte mich hilflos an. Wenn er die Leute gewähren ließ, würden sie ihm in wenigen Minuten auf dem Kopf herumtanzen. Ich raunte ihm etwas zu. Er sah mich verblüfft an, aber als ich es wiederholte, stutzte er, holte tief Luft und straffte sich dann. Er hatte wohl eingesehen, dass ich recht hatte.
»Meine Herrschaften!«, rief er mit einer Stimme, der man jetzt anhören konnte, dass sie das Befehlen gewohnt war. »Ich darf Sie auf einen Sachverhalt aufmerksam machen, der Ihnen vielleicht unbekannt ist: Auf hoher See ist der Kapitän eines Schiffes zugleich die oberste Zivilbehörde, die es auf dem Schiff überhaupt geben kann. Nach dem internationalen Seerecht kann er seinen Willen, wenn es das Wohlergehen der ihm anvertrauten Menschen und Güter erfordern, selbst mit Waffengewalt durchsetzen.«
»Das ist ja der Gipfel!«, brüllte Holsday und wurde krebsrot. »Ich
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