0065 - Hata, die Hexe aus dem Sumpf
Rechte vor, spreizte Zeige- und Mittelfinger abwehrend gegen Zamorra aus. Eine Geste, die gegen den »Bösen Blick« schützen sollte.
»Ich bin ein Hexer! Ja, das bin ich, wenn Sie es unbedingt so nennen wollen. Aber ein Hexer des Guten, der dem Bösen immer entgegentritt und es bekämpft und vernichtet!« Zamorra hatte die besondere Betonung auf das Wort »immer« gelegt, und man konnte nicht leugnen, daß seine Stimme einen feierlichen Klang angenommen hatte.
»Scharlatan! Weiche, Unheimlicher!« schnarrte Harold.
Zamorra erwiderte nichts, da er nicht noch einen unnötigen, sinnlosen Streit mit dem Gammler wollte. Er ignorierte ihn einfach mit einem Lächeln, das seinen Gegner aber nur noch mehr in Rage brachte.
Der Parapsychologe erhob sich.
»Am besten, ihr bleibt hier. Ich sehe nach Mr. Warner. Vielleicht hat Hata wieder seinen Pseudokörper aktiviert.«
»Ich komme mit!« Bill Fleming stand ebenfalls auf, und auch die anderen Gäste folgten seinem Beispiel.
Zamorra schloß die breite Flügeltür auf, trat als erster in die Halle.
Von einer inneren Unruhe angetrieben, erreichte er nach wenigen Sekunden die Bahre.
Seine Augen weiteten sich, als er den Toten sah.
Robert Warners Arme, die man ihm über der Brust gefaltet hatte, hingen schlaff herab. Die Pulsadern waren geöffnet. Zwei Blutlachen unterhalb der Hände bedeckten den Boden.
Die Augenlider, die ihm Zamorra bereits einmal geschlossen hatte, waren geöffnet. Starre, glasige Augen stierten zur Decke hoch.
Der Professor riß sich zusammen. Er durfte die anderen nichts von seiner Unruhe und Aufregung merken lassen. Er mußte ruhig bleiben. Die Entspannung war dahin. Seine Nerven waren wieder zum Zerreißen gespannt, als er das Amulett vor Robert Warner hielt.
Wieder murmelte Zamorra einen Bannspruch, obwohl er wußte, daß dessen Wirkung sicherlich zu gering war, um ein Austreten des Pseudokörpers zu verhindern. Die Leiche war ein gutes Versteck für das Pseudowesen, gegen den auch das Amulett nicht ankam, von den Sprüchen ganz zu schweigen.
Der Gelehrte tat es eben, weil er irgend etwas tun mußte, nicht tatenlos herumstehen wollte. Vielleicht schwang doch noch der Funke einer Hoffnung mit.
Es wäre möglich, daß das »Böse Ich« mit jeder Tat schwächer wird, bis ich es schließlich bannen kann, versuchte er sich krampfhaft einzureden.
Erst jetzt drang das Geschrei Harold Warners an sein Ohr, der ihn bezichtigte die Pulsadern des Toten geöffnet zu haben.
Zamorra hörte gar nicht hin, seine Gedanken waren ganz wo anders.
Bei Hata, der Sumpfhexe, die schuld war an den fürchterlichen Ereignissen, die Warner-Island zu einer Insel des Schreckens verwandelt hatten.
Der Professor wandte sich um. Er sah die Anwesenden fest an.
Sein kantiges Gesicht drückte Entschlossenheit aus.
»Ich muß mit Ihnen reden!« sagte er dann ruhig. Man sah dem berühmten Wissenschaftler nicht an, daß es ihm einige Mühe kostete, sich völlig in der Gewalt zu haben.
»Darf ich Sie zurück in den Speisesaal bitten? Es gibt einiges aufzuklären!«
***
Wortlos verließen sie die Halle. Elmar Warner warf noch einen angstvollen Blick auf die Leiche seines Vaters. Er schlug flüchtig ein Kreuzzeichen, blickte sich dann schuldbewußt in der Runde um, so als schäme er sich für diese Geste.
Die Menschen nahmen wieder an der Tafel Platz, rückten die antiken Stühle zurecht.
Professor Zamorra schlug die Beine übereinander, er versuchte sich wieder zu entspannen, aber sein sensibles Gefahrengespür ließ das nicht zu. Es signalisierte ihm das Übersinnliche, die Anwesenheit der mächtigen Hexe. Zamorras Gefühl war eine Art Empfänger, ähnlich dem von Radio oder Fernsehapparaten. Eine Gefahr strahlte Impulse aus, Wellen also, die in Zamorras Innersten empfangen wurden.
»Also«, begann er. »Als Ihr Vater gestern verstarb, waren seine letzten Worte: ›Hata, die Hexe…‹. Mehr konnte er vor seinem Tod nicht mehr sagen. Was es genau mit der Hexe für eine Bewandtnis hat, ist mir noch nicht klar. Jedenfalls versuchte mich Warners Pseudokörper …«
»Bitte, was ist das genau?« fragte Elmar Warner zaghaft.
Professor Zamorra nahm einen Schluck aus dem Weinglas, um sich das sandige Gefühl in der Kehle wegzuspülen, bevor er antwortete: »Ein zweites Ich. Jeder Mensch besteht aus zwei Persönlichkeiten. Dem Guten und dem Bösen, das ständig miteinander zu kämpfen hat. Manchmal siegt das Gute, manchmal das Böse!«
»Das gute Ich ist wohl das Gewissen,
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