0067 - Der Teufelskrake
Kutter beigedreht. Der Bug zeigte jetzt in Richtung auf die Heimatinsel Lenone.
Als die felsige Küste vor ihnen auftauchte, kam gleichzeitig die Sonne herauf. Weit hinten, wo das Meer ruhig und glatt war.
Aber die Sonne war so rot wie das Blut der Toten.
***
Luigi Tresi, der Vater von Alberto und Simone, die zu den ersten Opfern des Meerungeheuers zählten, konnte nicht allein zum Fischen fahren. Der Mut und die Kraft hatten ihn verlassen.
Nur einmal, gemeinsam mit dem sich schnell erholenden Luca Borella, suchte er die Gewässer vor der Küste nach den Leichnamen seiner Söhne ab. Nach stundenlangen Versuchen gaben sie es auf.
An diesem Morgen ging er mit seiner Tochter Cristina am Strand entlang, um Muscheln, Krabben und andere eßbare Schalentiere zu suchen.
Es wurden nur wenige Worte gewechselt.
Aber Cristina hatte ein besonderes Anliegen.
»Sprich nur«, sagte Luigi Tresi. »Ich seh dir’s doch an, Mädchen. Du hast etwas auf dem Herzen, nicht wahr?«
»Es quält mich so«, sagte das Mädchen. »Ich habe Angst.«
Der Alte sah seine Tochter an.
»Ich weiß schon«, meinte er. Mehr sagte er nicht. Er wußte, was seine Tochter bewegte.
Aber er konnte ihr nicht helfen. Ja, er wußte, daß sie Petro Borella liebte, den Sohn des Nachbarn. Und es war nicht ausgeschlossen, daß die beiden in absehbarer Zeit heiraten würden. Sie mußten nur noch etwas zusammensparen, um die notwendigsten Möbel kaufen zu können. Das war nicht einfach, bei dem geringen Einkommen der Fischer.
Aber Petro Borella war dem alten Tresi als Schwiegersohn sehr willkommen. Er galt als fleißiger und grundehrlicher Mann. Das hatte viel zu besagen unter den Einwohnern dieser Insel.
Und Cristina zählte ihrerseits zu den fleißigsten Mädchen der Insel. Ihrer Initiative hatten sie es zu verdanken, daß das karge Einkommen der Fischer ein wenig aufgebessert wurde.
Cristina hatte es zustande gebracht, kleine Obstgärten anzulegen und eine Bewässerungsanlage zu bauen. Sie fingen das kostbare Regenwasser in großen, selbstgebauten Zisternen auf und leiteten es durch eigenhändig gegrabene Kanäle auf die kleinen Felder. Immerhin konnten sie jetzt schon Oliven, Zitronen, Mandarinen und Orangen anbauen und ernten.
Es war kein großer Geldsegen, der den Familien da ins Haus floß.
Aber für viele wirkte die kleine zusätzliche Einnahme, die man auf den Märkten in Sizilien erzielte, wie ein köstlicher, ungekannter Reichtum.
»Du willst nicht, daß Petro noch hinausfährt?« fragte der Alte jetzt.
Cristina nickte.
»Ich bange um sein Leben, seit meine Brüder tot sind. Das Ungeheuer aus der See wird nicht nachgeben, fürchte ich.«
Der Alte sah verstohlen auf das Mädchen.
»Glaubst du, es ist ein Monster?« fragte er leise.
»Du nicht, Vater?«
Der Alte zog die Schultern ein, unsicher über andere Möglichkeiten.
»Immerhin«, meinte er dann. »Sieh dir an, was wir gemeinsam geschafft haben. Fisch und Obst sind da. Das gibt Brot und ein Leben, mit dem wir mehr als zufrieden sind. Das bringt Neid. Und wer ist neidischer und habgieriger als die Herren aus der Großen Kolonne?«
»Die Maffia?«
»Wer sonst?« fragte er zurück. »Möglich ist in dieser heißen Gegend alles. Das Land brennt die Herzen aus und macht sie zu Stein. Da wächst die Gewalt, da kommt auch das Unrecht zu seinem Recht. Da ist alles erlaubt, wenn du mächtig bist. Wehren kann sich keiner von uns. Nur der reiche Mann kann sich wehren. Wir plagen uns ab, tagaus, tagein, bis auf unsere letzten Tage. Ist schon möglich, daß die Maffia…«
Plötzlich hielt er inne. Er hatte etwas entdeckt. Etwas, das am Strand lag und nicht dorthin gehörte.
Er ließ Cristina stehen und lief darauf zu.
Und diesmal war er es, der einen grellen, spitzen Schrei ausstieß.
Er hatte die Leichen von Carlo und Francesco Corina gefunden!
Sie waren arg verstümmelt. Brustkasten und Bauchgegend waren eingedrückt, und das Monster hatte ihre Gesichter zu einem unkenntlichen Brei zerquetscht.
Da hörte er Cristina näherkommen.
Schnell wandte er sich um, gab ihr ein Zeichen, stehenzubleiben.
»Was ist?« fragte sie erregt, als er wieder bei ihr war.
»Das Monster«, sagte er tonlos. »Dort unten liegen zwei von Corinas Söhnen. Der älteste und der jüngste. Komm, schnell, wir müssen zu Paolo.«
Cristina schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen.
Aber sie folgte ihrem Vater, als er ohne ein weiteres Wort voranging.
Paolo war der einzige Polizist auf der
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