0067 - Der Teufelskrake
Sie wollen.«
Zamorra sah in dem Behälter einen kleinen Klumpen, dessen Tentakeln so gut wie gar nicht ausgebildet waren. Der junge Oktopode befand sich im ersten Stadium seiner Entwicklung.
»Machen wir einen Sprung, Professor«, schlug Cirelli vor. »Folgen Sie mir bitte nach hinten, ans Ende des Labors. Dort sehen Sie den größten dieser Kraken, die ich bislang lebend fangen konnte.«
Der Glasbehälter war ein Kasten von gut drei mal drei Meter. Das dunkle Tier ruderte mit seinen acht Armen wie wild darin herum und füllte ihn fast aus.
»Unvorstellbar!« sagte Zamorra. »Man hört viel Sagenhaftes über diese Tiere aus der Tiefe. Aber in dieser Größe kann man sie sich nicht vorstellen.«
»Sehen Sie, Zamorra«, sagte Cirelli und zeigte auf das größte Exemplar seiner Sammlung. »Und nun werden Sie sich wundern, daß dieses riesengroße Exemplar ein recht kleines und bescheidenes ist. Und ich will Sie nicht auf die Folter spannen: wir beide sind hinter dem größten und gefährlichsten Räuber dieser Gattung her. Ich studiere diese Bestien seit Jahren. Ich kenne die Art ihrer Verständigung. Ich weiß, daß sie im Grunde ganz friedliche Wesen sind. Aber es ist mit ihnen wie mit den Wespen oder den Schlangen oder meinetwegen mit den Löwen. Keines dieser Tiere greift jeweils den Menschen an – es sei denn, daß es sich bedrängt und verfolgt fühlt.«
»Sie kennen die Standorte dieser Kraken?«
»Ja«, sagte Cirelli. »Ich habe in der ganzen Umgebung Mikrofone aufgehängt. Nach den eingehenden Frequenzen kann ich genau die Größe der Tiere, ihr Alter und ihren Standort bestimmen. Bei fast allen jedenfalls. Mir fehlt nur noch der Teufel unter ihnen.«
»Was sagen Sie?« fragte Zamorra verblüfft.
»Der Teufel, ja. Ich habe ihn so getauft, weil er den Namen verdient. Er ist der Schlaueste – und auch der Faulste. Er ist wie die Kö- nigin bei den Bienen und Ameisen, die ihre Arbeiter hat. Er schickt seine Truppen vor, sozusagen. Er hat ein ganzes Heer von kleineren und größeren Kraken zur Verfügung.«
»Und einige davon haben die Bekanntschaft mit den Pfeilen oder Angeln der Fischer von Lenone gemacht?«
Cirelli nickte.
»Richtig kombiniert. Ich vermute sogar, daß der Teufel der Kraken in der Nähe war, als das erste Unglück passierte.«
»Wann war das?«
»Vor etwa sechs Wochen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Beweis für das Zusammentreffen von Krake und Mensch.«
Cirelli führte seinen Gast vor ein anderes Glas. Dieses diente nicht als Aquarium. Zamorra sah es sofort. Es war auch kein Wasser darin. Sondern eine Spirituslösung zum Konservieren toter Tiere.
»Der Kopf eines Kraken«, sagte Cirelli.
»Und da ist die Angel mit den drei gefährlichen Widerhaken«, versetzte Zamorra.
»Ja, und sie war für einen Schwertfisch bestimmt, vermute ich. Eines jener Beutetiere, die nach dem ersten Hieb durch die Handharpune soviel Kraft in sich haben, zu fliehen. Oft findet der Fischer dann Fisch und Harpune oder Angel nicht mehr.«
»Und das war der Anfang der Tragödie von Lenone«, stellte Zamorra fest. »Ja, Professor. Ich bin da ganz sicher. Denn von diesem Tage an traten die Kraken immer häufiger auf. Sie schienen ihren Gegner zu suchen. Sie lauerten im Schutz ihrer Tintenwolken, die sie durch die Drüsen ins Wasser senden. Und dann kam das, was man den ersten Mord nennt. Menschlich gesehen war es auch ein Mord. Aber von der Natur her betrachtet, war es ein Unfall nach einem unausgeglichenen Kampf.«
»Sie meinen, die Fischer sind getaucht und dann auf die Kraken getroffen?«
»Si, Professore.«
»Sie sprachen vorhin von dem Teufel unter den Kraken. Glauben Sie, daß er eine Art Befehle erteilen kann, die Fischer zu überfallen?«
Cirelli lächelte.
»Als Forscher glaube ich nichts. Ich darf wohl einmal etwas annehmen, was sich dann als falsch herausstellt. Aber ich glaube nichts. Ich weiß etwas, was ich durch Erfahrung und Beobachtung an Erkenntnis gewonnen habe.«
»Und wie würde die Antwort auf die Frage lauten?«
»Sie können sie hören, Zamorra«, sagte der Forscher.
Damit ging er an einen Tisch, wo mehrere Tonbandgeräte und Mikrofone standen. Darüber hingen im Abstand von etwa drei Metern zwei metallische Boxen.
»Sagen Sie nur, daß Sie hier unten eine komplette Stereoanlage haben!« rief Zamorra aus.
Wieder lächelte Cirelli.
»Die Kollegen mancher Funkanstalt würden mich darum beneiden«, sagte er. »Hören Sie selbst.«
Cirelli stellte eines der Geräte ein.
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