0067 - Der Teufelskrake
Mademoiselle Nicole Duval, Sekretärin des Professors Zamorra, ist berechtigt, ihn in jeder gefährlichen Situation zu begleiten. Sie ist ferner berechtigt, ihm nicht nur mit Rat und Tat, sondern auch mit der Waffe in der Hand zur Seite zu stehen. Es ist unzumutbar für sie, den Professor in schwierigen Situationen allein zu lassen. Auch darf sie niemals irgendwelchen Ängsten und Zweifeln ausgesetzt sein.«
Sie strahlte ihn an, und er grinste ein wenig.
»Gut, Nicole. Einverstanden. Das waren aber nur deine Rechte. Du hast die Pflichten vergessen. Also, bitte. Fräulein, ich diktiere.«
»Ich höre«, sagte Nicole gespannt.
»Mademoiselle Duval ist verpflichtet, keine unnützen Fragen zu stellen. Sie ist weiterhin verpflichtet, dem Professor von allen ihren Vorhaben zu erzählen und nichts auf eigene Faust zu unternehmen.«
»Noch etwas?«
»Natürlich, du Goldkind. Das Beste noch. Also notiere meinetwegen: Mademoiselle ist vor allem verpflichtet, so verteufelt hübsch auszusehen, wie sie das gewöhnlich tut.«
»Oh!«
»Und sie hat nicht das geringste Recht, Widerstand zu leisten, falls es den Professor gelüstet, sie in die Arme zu nehmen.«
»Oh!« machte Nicole wieder.
»Das gilt auch für alle anderen Arten von Liebesbezeugungen, vor allem außerhalb der gewöhnlichen Dienstzeit.«
»Amen«, sagte Nicole. »Meine Unterschrift kannst du bekommen.«
»Unterschreib gleich für mich mit«, bat der Professor mit einem Schmunzeln. Aber sofort wurde er wieder ernst.
Im fahlen Licht der Abenddämmerung tauchten vor ihnen die Inseln auf. Kleine braune Flecken, karg und düster, und nur an wenigen Stellen von Grün unterbrochen.
»Lenone«, sagte Zamorra und drosselte den Motor.
***
Sie machten das Boot fest, wo sie es beim erstenmal zurückgelassen hatten. Es war eine ziemlich seichte Stelle am Strand, absolut sicher.
Auch ein mittlerer Sturm würde es nicht losreißen können.
Zamorra half Nicole aus dem Boot.
Sie gingen nur ein paar Schritte. Dann sah der Professor, was er befürchtet hatte.
Es gab keinen Mann auf der Insel, der nicht an den Vorbereitungen für ihre große glühende Rache teilnahm. Selbst alte und gebrechliche Männer halfen, die kleinen und mittelgroßen Boote seetüchtig zu machen.
Es waren alte Kähne darunter, notdürftig repariert und zusammengeflickt.
»Rache für Filipo!« rief Luca Borella, als Zamorra mit Nicole näherkam.
»Rache für Carlo und Francesco!« schrie der alte Corina.
»Rache für Alberto und Simone!« rief Luigi Tresi dem Professor entgegen. »Es ist soweit, Professore. Cirelli wird sterben.«
»Wann?« fragte Zamorra nur.
»Morgen früh. Wir fahren hinaus, wie immer. Aber wir machen Jagd auf eine andere Beute. Wir jagen den Menschen, der ein Krake geworden ist. Wir jagen den Fürsten der Hölle. Wir holen uns die Ausgeburt der Gemeinheit und der Gewalt. Cirelli wird sterben!«
Die Augen des Alten sprühten Blitze. Es war das Feuer der Verachtung, der tödlichen Wut, der grimmigen Vergeltung.
»Tresi?« sagte Zamorra leise.
»Was ist? Wir machen die Boote klar. Wir haben keine Zeit.«
»Zwei Minuten, Tresi. Bitte, kommen Sie her.«
Widerwillig ließ der Alte von seiner Arbeit ab und kam näher.
»Was ist also, Professore?«
»Ihr wißt doch, warum ich hier bei euch bin, auf der Insel?«
»Si, Signor. Sie wollten das Ungeheuer jagen. Das Ungeheuer aus der Tiefe.«
»Ich wollte, sagen Sie? Hören Sie, Tresi: ich will es auch jetzt noch!«
Der alte Fischer schüttelte den Kopf.
»Nicht mehr, Signor. Wir kennen das Scheusal. Es ist ein Mensch. Es ist Cirelli. Und er stirbt. Die Fischer werden ihn töten. Die Fischer, die ihm ihre Söhne geben mußten.«
»Ich verstehe euren Schmerz, Tresi. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit.«
Der Alte starrte Zamorra an.
»Durch Borella habt ihr alle erfahren, was geschehen ist«, fuhr der Professor fort. »Aber er hat euch auch gesagt, daß sie gegen mehrere Kraken gekämpft haben. Eine davon kann Filipo getötet haben.«
»Nein!« rief der Alte. »Da drüben liegt Filipo, Borellas Sohn! Die Spitze der Harpune steckt noch in seinem Leib. Es ist Cirellis Waffe.«
Zamorra biß sich auf die Lippen. Er wußte, daß diese Männer nicht zu beschwichtigen waren. Der Haß in ihnen, der Wunsch nach Rache war zu stark. Das alles lebte seit vielen Generationen in ihnen.
Es war nicht auszulöschen.
Dann mußte Zamorra zu seiner Methode greifen.
»Hört her, Männer von Lenone!« rief er in die Runde. »Ich
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