0070 - Die Brücke ins Jenseits
kein Wort von dem, was er sagt. Er schlägt alle Warnungen in den Wind. Der Großwesir sieht, daß die Verteidiger Wiens je länger die Belagerung dauert in eine immer verzweifeltere Lage geraten. Den Wienern geht langsam die Munition aus. Die überbeanspruchten Geschütze zerspringen. Die Trümmer der von uns in Brand geschossenen oder durch Steinkugeln zerstörten Häuser verlegen die Straßen, die pausenlosen schweren Kämpfe fordern viele Tote. Die Ruhr ist in Wien ausgebrochen. In wenigen Wochen hat sie 7500 Menschen dahingerafft. Kara Mustapha sagt: Wien ist am Ende. Und so sieht es im Augenblick auch tatsächlich aus … Aber Omar Namsi sieht weiter. Er weiß, was kommen wird, und er haßt diese Stadt, die uns eine so schwere Niederlage bereiten wird. Dies ist der Grund, warum Omar Namsi jetzt zu einem grausamen Schlag gegen diese Stadt ausgeholt hat …«
Mehmet brach ab. Sein Brustkorb hob und senkte sich schnell. Er hatte sich heißgeredet.
Nicole Duval wandte sich um. Ihr Blick traf Bill Flemings Augen.
Der Historiker nickte überwältigt. »Alles, was er sagt, entspricht den historischen Tatsachen«, meinte Bill.
Bobby Fuchs schüttelte perplex den Kopf. »Dann kommt dieser Türke da aus dem Jahre 1683 zu uns herüber? In unsere Zeit? Wie ist das denn möglich?«
»Omar Namsi ist mit allen Höllenfamilien verwandt«, sagte Mehmet krächzend. »Er kann Dinge tun, die ihr euch nicht einmal in euren wirrsten Träumen vorstellen könnt. Er hat eine Brücke für Ahmet und mich gebaut. Über diese Brücke gelangten wir mühelos ins zwanzigste Jahrhundert.«
Nicole Duval dachte an Professor Zamorra. Hastig fragte sie: »Und was passiert mit jemandem, der diese Brücke in entgegengesetzter Richtung überquert?«
»Der landet im Jahr 1683«, antwortete Mehmet.
Nicole schaute Bill erschrocken an. »Zamorra«, sagte sie nur.
Fleming nickte.
»Wer diesen Weg gegangen ist, für den gibt es kein Zurück mehr!« sagte Mehmet.
Nicole Duval zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen.
Sollte sie Professor Zamorra tatsächlich nie mehr wiedersehen? Sollte er im Jahre 1683 verschollen bleiben? Auf einmal glänzten Tränen in den Augen des hübschen Mädchens. Zwischen ihr und dem Professor bestand mehr als bloß ein trockenes Arbeitsverhältnis. Nicole vereinbarte für Zamorra nicht nur Termine, sie schrieb auch nicht nur Briefe für ihn. Da schwang auch noch etwas anderes mit. Eine menschliche Seite. Sollte die nun mit einem gräßlichen Mißton zerreißen?
»Ihr seid also in Namsis Auftrag über diese Brücke gekommen«, sagte Bill Fleming. Er schaute auf seine Hände.
»So ist es«, bestätigte Mehmet.
»Welchen Auftrag hattet ihr?« wollte Fleming wissen. Gespannt hob Bobby Fuchs den Kopf. Er lauschte mit offenem Mund.
»Namsi haßt Wien!« sagte Mehmet.
»Das wissen wir bereits.«
»Er will dieser Stadt den Todesstoß versetzen.«
»Auf welche Weise?« fragte Bill Fleming.
»Wir mußten die Saat der Vernichtung für ihn aussäen. Namsi sagte zu uns: ›Man wird uns von hier fortjagen. Wir werden eine schändliche Niederlage erleiden. Aber ich werde Wien dafür bestrafen. In einer anderen Zeit. Ich werde diese Stadt vernichten, wenn dies hier alles längst vergessen sein wird. Wenn die Beutestücke in Museen zu bestaunen sind. Wenn die Geschichtsbücher vom heroischen Sieg der Wiener über das Heer aus dem Osmanenreich berichten werden. Dann wird meine Stunde der bitteren Rache kommen. Und Wien wird daran elendig zugrunde gehen‹.«
Nicole schluckte nervös. Sie schauderte leicht. Was Mehmet ihnen da erzählte, hörte sich schaurig an.
»Womit will Namsi diesen vernichtenden Schlag gegen Wien führen?« fragte Bobby Fuchs mit belegter Stimme. Marion trank ihren sechsten Whisky. Der Alkohol glänzte in ihren Augen.
»Er hat den Höllenfürsten persönlich zu Rate gezogen«, erzählte Mehmet weiter.
»Und was kam dabei heraus?« fragte der Fotograf gespannt.
»Die magische Pest!« sagte Mehmet schnell.
Die Anwesenden sahen sich an. Ungläubig, erschrocken.
Mehmet nickte. »Jawohl, Wien wird von der magischen Pest aufgefressen werden. Nichts kann diese Stadt jetzt noch davor retten. Die gewöhnliche Pest könnte man bekämpfen. Aber gegen die magische Pest kann kein Arzt etwas ausrichten. Ihr Krankheitsbild ist schlimmer. Die Ansteckungsgefahr ist größer. Der qualvolle Tod kommt schneller. Und ihr mörderischer Siegeszug durch diese Stadt wird nicht aufzuhalten sein. Nach Wien wird die
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