0070 - Die Brücke ins Jenseits
Gangway wurde herangefahren. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Eine lächelnde Stewardeß verabschiedete sich von den Fluggästen. Am Ende der Gangway wartete bereits ein Bus auf die Passagiere.
Wenig später standen sie in der Halle.
»Wenn ich nicht so gut erzogen wäre, würde ich sagen: Sauwetter!« zischte Nicole Duval. Sie tastete ihre Lockenpracht ab.
»Die zwei Stunden beim Friseur hätte ich mir sparen können«, bemerkte sie ärgerlich.
Die Zollformalitäten waren eine Farce.
Nicoles Stimmungsbarometer stieg erst wieder, als sie Bill Fleming erblickte. Sie lachte, warf die Hand hoch und winkte dem Historiker schon von weitem. »Bill! Bill! Hier sind wir!«
Fleming rempelte sich durch die Menge. Dann wurde viel gelacht, sie schüttelten einander die Hände, die Männer klopften sich auf die Schultern, und Bill und Nicole küßten sich gegenseitig die Wangen ab.
Fleming nahm Nicole die Reisetasche aus der Hand. Er lächelte verlegen. »Ich habe alles mitgebracht: Gute Laune, einen Leihwagen… nur das schöne Wetter habe ich im Hilton vergessen.«
Auf dem Parkplatz stand ein bordeauxroter Peugeot 504 TL Bill verstaute das Gepäck schnell im Kofferraum, dann stiegen sie ein und fuhren sogleich los. Obwohl Fleming zum erstenmal in Wien war, fand er sich hervorragend zurecht. Das machten sicherlich die zwei Tage, die er vor Zamorra und Nicole angekommen war, da hatte er Zeit gehabt, sich fürs erste zu orientieren. Zamorra und Nicole hatten in dieser Stadt schon mehrmals zu tun gehabt.
»Was für einen Eindruck macht Wien auf dich, Bill?« fragte der Parapsychologe.
»Eine einzige große Baustelle«, sagte Fleming mit gekräuselter Nase. »Die Straßen sind mit Umleitungsschildern gespickt. Wird eine U-Bahn, habe ich gehört.«
Sie hatten das riesige Areal des Zentralfriedhofes hinter sich, fuhren nun am Stadtpark vorbei und erreichten kurz darauf den Parkplatz des Hilton-Hotels, wo Bill Fleming für seinen Freund und dessen Sekretärin je ein Zimmer bestellt hatte.
»Ich schlage vor, wir treffen uns in einer Stunde in der Bar«, meinte Bill, als Nicole und Zamorra hinter dem Gepäckträger den, Lift ansteuerten. »Dann habt ihr Zeit, euch umzuziehen…«
»Einverstanden«, sagte Nicole Duval. Dann trennten sich ihre Wege. Sie lächelte. »Ich glaube, es wird mir hier trotz des schlechten Wetters gefallen.« Nicole dachte an Faulenzen, Sehenswürdigkeiten besichtigen, Schaufensterbummel durch die Wiener Geschäftsstraßen. Aber es wartete ein ganz anderes Programm auf sie, den Professor und auf Bill Fleming. Ein Horror-Programm sondergleichen, doch wie hätte sie das in diesem Moment schon ahnen können…
***
Schon einmal waren die Türken dagewesen. Unter Sultan Soliman IL drangen sie gegen die Mitte des Abendlandes vor. 1521 hatten sie Belgrad erobert, 1526 dem ungarischen Königtum ein Ende bereitet, und 1528 erklärten sie Ferdinand I. den Krieg. Am 21. September 1529 war Wien zum erstenmal von den Türken eingeschlossen. Dreihunderttausend Mann setzten zum Sturm an. Da es den Osmanen an Geschützen fehlte – diese waren auf dem weiten Weg von Konstantinopel bis hierher auf der Strecke geblieben –, war es ihr Ziel, durch die Explosion unterirdischer Minen Breschen in die Stützmauer zu sprengen und durch sie in die Stadt zu stürmen. Obwohl die Mauer sehr bald umfangreiche Zerstörungen aufwies, gelang es den heldenhaften Verteidigern dennoch, jeden Angriff zurückzuschlagen, wobei es auf den Trümmern der Mauern und in den türkischen Laufgräben sehr oft zu verlustreichen Nahkämpfen kam. Die Lage in der Stadt war schon höchst kritisch, als Sultan Soliman am 14. Oktober, nach dreiwöchigen vergeblichen Angriffen die Belagerung plötzlich abbrach.
Wien, das schon 1525 bei einem Großbrand nahezu ein Drittel seines Hausbestandes verloren hatte, litt sehr unter den Folgen dieser ersten Türkenbelagerung. Aber die Stadt war auch berühmt geworden. Man nannte sie nun das »Bollwerk der Christenheit.«
Die Zeit verging. Im Jahre 1679 wurde die Stadt von einer neuen Katastrophe ungeahnten Ausmaßes getroffen: die Beulenpest wurde eingeschleppt. Diese Krankheit wütete fürchterlich. Sie raffte in den Vorstädten und in der Innenstadt unter unvorstellbar qualvollen Umständen 60.000 Menschen dahin.
Und kaum hatte Wien die verheerenden Folgen der Pest überwunden, als die Stadt 1683 einer neuen schweren Prüfung standhalten mußte. Wie vor nahezu 150 Jahren zog wieder ein Halbmond-Heer
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