0071 - Knochensaat
Karin Becker.
Mallmann nickte. »Wird schon schiefgehen.«
Er wollte Karin noch einen Kuß auf die Wangen drücken, unterließ es aber, da er zu viele Zuschauer hatte.
Statt dessen folgte er dem Pfarrer in die Kirche.
Sie nahmen einen Seiteneingang, gingen jedoch nicht vor bis zum Weihwasserbecken, um das zahlreiche brennende Kerzen standen, die im Windzug flackerten. Der Altar war kaum zu erkennen. Zwei brennende Kerzen rahmten ihn ein. Er roch nach Weihwasser und Talg. Außerdem war es sehr kühl. Die kahlen Wände am Eingang des Kirchenschiffs strahlten diese Kälte aus. Will Mallmann ließ seine Blicke kreisen und nickte ehrfürchtig. Er hatte vor alten Kirchen immer einen ungeheuren Respekt. Und dieses Gotteshaus war alt. Den Baustil identifizierte Will Mallmann als Gotik. Der Pfarrer schloß eine kleine Seitenpforte auf. Will schaltete die Lampe ein. Eine steinerne Wendeltreppe führte hinab in die Tiefe eines Gewölbes. Der Pfarrer ging vor. Er hatte eine dicke Kerze aus dem Ständer genommen und hielt sie in der rechten Hand. Während er die Stufen hinunter schritt, bewegte sich die Flamme und warf zuckende Schatten auf die kahlen Wände. Dann erreichten sie den Keller.
Ein großer Raum tat sich vor ihnen auf. Er war nicht leer. Will sah einige Betbänke, zwei ausrangierte Beichtstühle, an denen die Seitenteile fehlten, und Kartons mit zahlreichen weißen Kerzen.
Ein Durchlaß führte in den Nebenraum. Der Pfarrer wandte sich nach rechts und blieb vor einer Holztür stehen. »Dahinter liegt es«, flüsterte er. Will nickte.
Der Geistliche wechselte die Kerze von der rechten in die linke Hand, führte den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn zweimal herum.
Es klackte, und die Tür war offen.
Der Pfarrer zögerte einen Moment, bevor er die Hand auf eine eiserne Klinke legte und sie nach unten drückte. Er atmete tief ein und sagte: »Gehen wir.« Kommissar Mallmann hatte das Gefühl, daß auch dem Pfarrer nicht ganz wohl in seiner Haut war. Kein Wunder, denn diese Spukgeschichte war wirklich nichts für Leute mit schwachen Nerven.
Hinter dem Geistlichen betrat Will Mallmann das geheimnisvolle Beinhaus. Nach zwei Schritten stoppten sie.
Die Knochen waren bis dicht vor die Tür gerollt. Will stieß sogar mit der Fußspitze gegen einen Schädel, der kollernd ein Stuck nach vorn rollte.
Der Kommissar stieg über den Schädel hinweg, leuchtete mit der Lampe.
Die Knochen schienen ihn anzustarren. Bleiche Gebeine, manche zig Jahre alt, zum Teil schon zerfallen und brüchig. Will schluckte.
Wenn er sich vorstellte, daß diese Knochen in Bewegung gerieten, sich sammeln und neu formieren würden, um daraus lebende Skelette entstehen zu lassen, wurde ihm direkt schwindlig.
Welch einen Horror erlebte er hier! Die Wände glänzten naß. Irgendwo tropfte Wasser.
Will ging vor, während der Pfarrer mit seiner brennenden Kerze in der Nähe der Tür stehen blieb. Es kostete den Kommissar schon Überwindung, auf den Knochenberg zuzuschreiten. Bevor er jedoch zwischen den Gerippen versank, blieb er stehen. Er führte den Lampenstrahl auf die Rutsche zu. Mallmann schüttelte den Kopf. So etwas hatte er noch nicht gesehen.
Da existierte tatsächlich eine Knochenrutsche, um die Gebeine in den Keller zu befördern. Sagenhaft.
Die Knochen lagen tot und bleich vor seinen Füßen. Nichts bewegte sich. Und hätte der Kommissar nicht mit eigenen Augen ein lebendes Gerippe gesehen, dann hätte er alles für Spinnerei gehalten. So blieb ihm nur ein Achselzucken.
»Da ist wohl nichts!« hörte er hinter sich die Stimme des Geistlichen.
Mallmann drehte sich um. »Nein.«
»Und jetzt?«
Der Kommissar ging wieder auf den Pfarrer zu. »Wir werden wieder hinausgehen. Hier ist nichts zu sehen. Die Gebeine einmal ausgenommen.«
Der Pfarrer nickte. »Wie gut, daß Sie auch so denken, Herr Mallmann. Ich glaube auch, daß es dieses Skelett gar nicht gegeben hat. Da hat sich jemand einen Scherz erlaubt und den Fasching um ein halbes Jahr vorgezogen. Knochen, die leben, nein, so etwas gibt es nicht. Das widerspräche doch allen Gesetzen.«
Will Mallmann hatten die Worte des Pfarrers zwar nicht überzeugt, doch er sagte nichts. Auch er wollte dieses seltsame Gewölbe verlassen. Er war schon an der Tür, als er wie angewurzelt stehenblieb.
Urplötzlich hörte er das jämmerliche Seufzen und Stöhnen. Es war so qualvoll, daß dem Kommissar eine Gänsehaut über den Rücken rieselte.
Dann ertönte eine flehende Stimme: »Helft
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