0072 - Die Ruine des Hexers
Zamorras Amulett hatte bei der Zeitreise die böse Restenergie vernichtet.
»Wir sind ins Jahr 1776 gelangt«, sagte Nicole. »Aber es war ein Reinfall, der uns fast das Leben gekostet hätte. Hast du eine andere Idee, Zamorra?«
Zamorra fand seinen Humor und seinen Gleichmut wieder.
»Wie sagte doch gleich der Staranwalt: Hier ist guter Rat teuer. Aber die Hauptsache ist jedenfalls, daß wir leben.«
Zamorra schloß Nicole in die Arme und küßte sie leidenschaftlich.
Und sie erwiderte seine Küsse, obwohl sie nach Rauch und Ruß schmeckten. Nach einer Weile lösten sich die beiden voneinander.
Zamorra nahm das Gepäck.
»Am besten, wir fahren gleich zum Schloß zurück«, sagte Zamorra. »Dort werde ich mir etwas überlegen.«
***
Es gelang Zamorra und Nicole nicht, im Schloß Gascoyne unbemerkt aufs Zimmer zu kommen. Paul de Gascoyne, in Begleitung eines hübschen, schwarzgekleideten jungen Mädchens, traf sie auf dem Korridor. Der junge Baron war auf Zamorra nicht gut zu sprechen.
»Das ist doch die Höhe«, sagte er. »In diesem Haus herrscht Trauer. Alles hält sich an die Etikette, und Sie laufen in einem derartigen Zustand herum. Ist das vielleicht ein akademisches Auftreten, Professor Zamorra?«
»Wir haben uns mit den Mächten eingelassen, die Ihren Vater auf dem Gewissen haben«, antwortete Zamorra. »Deshalb sehen wir so aus. Wir handeln nicht so wie Sie, daß wir versuchen, das Verbrechen einem unschuldigen alten Mann in die Schuhe zu schieben.«
Paul de Gascoyne schnappte nach Luft.
»Das… das ist ungeheuerlich.«
»Meine Verehrung, Mademoiselle«, sagte Zamorra zu der hübschen blonden Begleiterin des Barons, die ihn und Nicole mit weitaufgerissenen Augen anstarrte.
Mit ihren angekohlten Haaren und den versengten Kleidern boten sie auch ein merkwürdiges Bild. Zamorra ging mit Nicole weiter, zu ihren Zimmern im ersten Stock. Selbstverständlich gab es im Gästetrakt Dusch- und Waschgelegenheiten.
Zamorra und seine bildhübsche Begleiterin konnten sich säubern und herrichten. Zamorra betrachtete im Bad seine Haare. Sie sahen schlimm aus. Ein guter Friseur mußte die versengten Spitzen wegschneiden.
Trotz Aftershave und Eau de Cologne haftete der Brandgeruch noch an dem Professor. Auf dem Flur begegnete Zamorra einem bildhübschen rothaarigen Geschöpf, das Nicole Duvals apfelgrünes Kostüm trug. Es war nicht nur das Kostüm, sondern auch der bekannte Inhalt.
»Nicole!« rief Zamorra. »Wie hast du das geschafft?« Er fand des Rätsels Lösung gleich selbst. »Eine Perücke. Du siehst bezaubernd aus. Als hättest du nichts Schlimmes erlebt, sondern als kämst du gerade aus einem Schönheitssalon.«
»Merci. Wie würdest du mich übrigens mit einer Kurzhaarfrisur finden?«
»Jedenfalls netter als gegrillt. Und das wäre dir fast passiert.«
»Die Kurzhaarfrisur wirst du bald erleben. Meine Haare sehen unmöglich aus.«
»Zuerst wollen wir uns einmal über unsere Erlebnisse in der Satanskapelle unterhalten, du Haarfetischist. Dann dürfte es Zeit zum Mittagessen sein.«
Zamorra hatte seinen hellen Anzug und das blaue Hemd angezogen, mit dem er angekommen war. Nicole folgte ihm aufs Zimmer.
Der Professor nahm eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank und schenkte zwei Gläser ein.
Auf den erlebten Schock wollte er einen Schluck trinken.
»Auf unser Davonkommen«, sagte Zamorra, »und auf einen baldigen erfolgreichen Abschluß dieses Falles. A votre Sante!«
»A votre Santé!«
Die Gläser klirrten. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, zündete sich Zamorra kurz vor dem Essen ein Zigarillo an. Er setzte sich auf einen gepolsterten Louis-Quinze-Stuhl, streckte die Beine aus und schaute aus dem Fenster hinauf zum blauen Himmel mit den weißen Schäfchenwolken.
Nicole setzte sich auf die Bettkante.
»Wir sind zum falschen Zeitpunkt in der Vergangenheit angelangt«, sagte Zamorra. »Und im Moment haben wir keine Möglichkeit, diese Reise noch einmal zu unternehmen. Erst dann wieder, wenn die schwarze Kapelle noch einmal aufgetaucht ist.«
Nicole begriff, was Zamorra damit sagen wollte.
»Du meinst, die Ruine wird ein weiteres Todesopfer fordern?«
Zamorra nickte.
»Und nicht nur eines. Es ist kein Ende abzusehen, wenn wir diesem Treiben keinen Einhalt gebieten. In der Kapelle, in der wir ursprünglich auftauchten, gab es keine übernatürlichen Kräfte. Nur eine allgemeine, verschwommene Atmosphäre des Bösen. Der böse Geist des Romain Rolland, des mit der Guillotine
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