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0072 - Die Ruine des Hexers

0072 - Die Ruine des Hexers

Titel: 0072 - Die Ruine des Hexers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Appel
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vorwärts, auf die nach Brand stinkende Ruine zu. Nein, schrie es in seinem Gehirn. Nein, lauf weg!
    Doch er mußte weitergehen. Er trat durch die halboffene Tür, totenbleich und bebend vor Angst. Etwas wie Spinnweben berührte sein Gesicht. Er hörte den Schrei seines Lehrjungen hinter sich.
    Dann schlug die Tür krachend zu. Der Geselle Adolphe und der Lehrjunge Serge sollten ihren Meister nie mehr lebend wiedersehen.
    Wie gelähmt standen sie da, als der Höllenlärm losging, der das ganze Haus und die Nachbarschaft weckte.
    Mitten in der Stadt Angers hatte der Höllenspuk zugeschlagen.
    ***
    Anstatt in seiner Backstube stand Martin Claireaux im Innern der schwarzen Kapelle. Die Hälfte des Dachs war verbrannt, die andere stark beschädigt. Im hinteren Teil der Ruine lagen verkohlte Balken, Dachsparren und Schindeln am Boden. Rauchgeschwärzte Bilder, ein paar davon angekohlt, hingen an den Wänden. Seltsame Linien waren auf dem Lehmboden gezogen.
    Claireaux konnte sich jetzt wieder so bewegen, wie er es wollte. Er wirbelte herum, schneller als jemals in den letzten zehn Jahren, und rannte zur Tür. Verzweifelt bemühte er sich, den schweren Riegel zurückzulegen.
    Es ging nicht, er saß wie festgeschmiedet. Claireaux trommelte mit den Fäusten an die Tür, warf sich dagegen.
    »Hilfe! Hilfe! Helft mir doch! Laßt mich raus!«
    Ein ungeheuerlicher Chor brach los. Dämonische Stimmen jaulten und kreischten, heulten und schrien unverständliche Worte. Es polterte und dröhnte, und die ganze Ruine erzitterte. Unheimliche Laute ertönten. Der Bäcker rüttelte an der Tür. Der Lärm und die unheimlichen Stimmen machten ihn fast wahnsinnig vor Angst.
    Plötzlich sprang der Riegel zurück, bewegte sich und schlug Claireaux gegen die Brust, daß er zurücktaumelte. Und dann erwachte das Innere der Satansruine zu einem unheimlichen Leben.
    Die verkohlten Balken und Dachsparren bewegten sich, tanzten auf den Bäcker zu. Er hatte sich auf die Lippen gebissen, daß ihm ein Blutfaden übers Kinn rann.
    Deckenbalken lösten sich aus der Verankerung, schwangen hin und her wie groteske Arme. Ein geisterhaftes Kichern ertönte, und ein eiskalter Hauch streifte den in seinem Angstschweiß gebadeten Bäcker. Ein Dachsparren flog ihm in den Bauch, und ein Balken schlug krachend gegen seine Schulter.
    Claireaux taumelte zurück, vor Schmerzen schreiend. Balken flogen heran, trafen ihn und schlugen ihn quer durch die Ruine. Blut floß aus Mund und Nase des Bäckers. Verzweifelt versuchte er, sein Gesicht mit den Armen zu schützen.
    »Nein!« schrie er. »Nein, bitte aufhören! Au, oh, ah, nein! Mein Arm! Mein Arm! Aaaaahhh!«
    Sein rechter Arm war gebrochen. Claireaux wußte, daß er sterben mußte. Von den unbarmherzigen Schlägen schmerzte sein ganzer Körper, und die Todesangst versetzte ihn in helle Panik. Die schweren Balken knüppelten den Bäcker nieder.
    Er schrie und stöhnte, und wie durch einen roten Nebel hatte er eine Vision.
    Er sah einen Mann in altertümlicher Kleidung mitten in einem Wald. Das Blut floß ihm über das Gesicht. Schläge prasselten aus der Luft auf ihn nieder, ohne daß man etwas sah. Der Mann mit dem grünen, hochgeschlossenen Rock, den gelben Kniehosen und den Bundgamaschen krümmte sich, brach zusammen.
    Die schweren Schläge von unsichtbaren Gewalten ließen seinen Körper zusammenzucken, brachen ihm die Knochen. Jetzt hörte Martin Claireaux den Mann schreien, stöhnen und wimmern. Dann gellte ein satanisches Gelächter.
    Eine Stimme schrie voller Hohn und Haß: »Jetzt merkst du, was es heißt, sich mit Romain Rolland anzulegen, François Claireaux. Du bist der nächste Markstein auf meinem Weg. Bald werde ich meine Ketten sprengen und als furchtbarer Dämon über die Erde wandeln. Wehe den Menschenwürmern, wenn Romain Rolland nicht mehr an die schwarze Kapelle gekettet ist!«
    Martin Claireaux hob den Kopf, aber er sah den Sprecher nicht.
    Nur den Mann mit dem grünen Überrock im Wald, der sich blutbesudelt auf der Erde wand.
    Martin Claireaux sah den Balken nicht, der von der Decke heruntersauste und ihm mit einem gewaltigen Rammstoß der Spitze das Genick brach.
    Er bekam nicht mehr mit, daß der Mann, den er als Vision gesehen hatte, ebenso tot und leblos dalag, wie er selbst. Die geisterhaften Laute und die unheimlichen Stimmen verstummten. Längst war das satanische Gelächter verklungen.
    Die Deckenbalken, die wie ein Teil eines lebenden Organismus gewesen waren, kehrten in ihre

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