0072 - Die Ruine des Hexers
krumme Antoinette! Was willst denn du von mir, du alte Hexe?«
Die Alte humpelte zu ihm hin.
»Es geht um Romain Rolland. Ihr habt seine letzten Worte gehört, und Ihr müßt unbedingt etwas unternehmen, sonst geht es Euch allen an den Kragen. Euch allen, die an dem Tod des Hexers mitgewirkt haben. Ich allein weiß die Mittel, seinen bösen Zauber zu brechen.«
Robert de Gascoyne schnaubte. Er explodierte wie ein Pulverfaß, an das jemand die Lunte gehalten hatte.
»Ja, zum Donnerwetter, was ist denn das? Erst der hergelaufene Philosoph, dann die alte Hexe! Romain Rolland ist gerichtet, und damit Schluß, fertig, aus! Herr Wirt! Wo ist der Wirt? Was fällt dem Kerl ein, alles mögliche Volk zu mir zu lassen, das mich belästigt? Werft sie hinaus, auf der Stelle, beim Henker und beim Teufel!«
Der Baron fluchte und wetterte. Der dicke Wirt mit der grünen Schürze kam, Entschuldigungen stammelnd. Es gab einen Aufruhr.
Im Nu drängten sich neugierige Zuschauer, die sich an dem Schauspiel freuten.
Der Baron hatte vollkommen die Beherrschung verloren und schimpfte und drohte. Zwei kräftige Männer packten Zamorra an den Armen und schleppten ihn unsanft hinaus. Ein Mann führte Nicole hinter ihm her, ein weiterer die buckelige Antoinette. Es war kein erhebender Abgang.
Die Gäste im Lokal grölten und grinsten.
Zamorra wurde bis zur Außentreppe gebracht.
»Wir werfen ihn die Treppe hinunter in den Dreck, diesen Schnö- sel«, sagte der Mann an Zamorras rechter Seite.
Zamorra und Nicole verstanden es gut und wurden auch selbst gut verstanden. Zamorra wartete nicht, bis er die Treppe hinuntersegelte. Soweit wollte er es nicht kommen lassen.
Er bewegte die Arme, setzte links und rechts einen gekonnten Judogriff an, und dann flogen die beiden Grobiane schwungvoll die Treppe hinunter. Nicole trat dem Kerl, der im düsteren Hausflur nach ihrer Brust gefaßt hatte, mit dem Absatz auf den Fuß und hieb ihm eine schallende Ohrfeige herunter.
Der vierte Mann gab der buckligen Antoinette einen Stoß. Zamorra und Nicole konnten sie gerade noch festhalten. Sonst wäre sie die Treppe hinuntergestürzt.
»Gehen wir«, sagte Zamorra gelassen. »Ich habe versucht, etwas auszurichten, obwohl ich mir keine Hoffnungen machte. Es soll und kann nicht sein.«
Die bucklige Alte ging mit ihnen. Unten an der Treppe erhoben sich die beiden Männer. Der Hausknecht hatte sich mit dem Hosenboden in einen Haufen Pferdedreck gesetzt und ballte drohend die Fäuste.
»Dir reicht es wohl noch nicht?« fragte Zamorra. »Du kannst gleich mit dem Gesicht in den Pferdedung fliegen.«
Der Hausknecht, ein grobschlächtiger Mann mit einer grünen Filzjacke, schimpfte und fluchte. Er machte aber keine Anstalten, Zamorra anzugreifen. Es gab ihm zu denken, wie leicht und mühelos der Fremde ihn und den anderen Mann, der auch kein Schwächling war, die Treppe hinuntergeworfen hatte.
Zamorra führte Nicole und die bucklige Alte davon, weg von dem Marktplatz, auf dem das Blutgerüst in der Dämmerung stand.
***
Schwarz ragte der Wald auf, wie eine Wand. Es war nicht mehr weit bis zur Hütte der alten Antoinette. Ein Türschloß gab es nicht. Zamorra und Nicole folgten der buckligen alten Frau in das niedere, baufällige Gebäude, das dürftig aus Steinen, Holzbalken und alten Schindeln zusammengeschustert war.
Es gab einen Hühnerstall, und ein Schwein grunzte in einem Verschlag. Dem Geruch nach, mußte auch noch irgendwo eine Ziege sein.
Die alte Antoinette entzündete in der winzigen Wohnstube eine verrußte Ölfunzel. Es roch würzig nach Kräutern, die zum Trocknen an den Dachsparren baumelten. Der Boden war festgestampft, eine Falltür führte in ein kleines Kellergelaß.
Die Einrichtung war mehr als dürftig. Bretterverschläge trennten zwei kleine Kämmerchen ab. Zum Heizen gab es nur einen primitiven gemauerten Herd, und im Winter pfiff der Wind gewiß durch alle Ritzen.
Wer hier nicht wohnen mußte, konnte die Hütte als romantisch bezeichnen.
»Ich kann euch nicht viel anbieten«, sagte die Alte. »Ein Linsengericht ist noch im Topf. Ich werde es aufwärmen.«
»Danke, wir haben schon gegessen«, sagte Zamorra, dem das schmutzige Geschirr nicht gerade Appetit machte. »Wir wollen etwas über Romain Rolland wissen. Deshalb sind wir hergekommen. Ist es wahr, daß du mit ihm paktiert hast, Antoinette?«
Die Alte bekreuzigte sich.
»Davor bewahre mich unser Herrgott im Himmel. Romain Rolland suchte mich ein paarmal auf, weil er
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