0074 - Söldner des Teufels
auch sie aus dem Bett. In Windeseile benutzte sie das Badezimmer, wusch sich und putzte sich die Zähne. Ihre Haare – heute trug sie sie blond und mittellang – machte sie nicht besonders zurecht. Auch auf Makeup und Lippenstift verzichtete sie. All dies hätte zu der Rolle, die sie zu spielen gedachte, nicht so richtig gepaßt.
Dann machte sie sich über den Kleiderschrank her. Allzu viel Garderobe hatte sie nicht mitgenommen, und sie hatte deshalb einige Mühe, das Richtige zu finden.
Sic entschied sich schließlich für eine einfache weiße Bluse, einen dunklen Jeansrock und die Sandalen, die sie normalerweise als Hausschuhe zu benutzen pflegte. Ideal war der Aufzug nicht, besonders elegant jedoch auch nicht. Und darauf kam es ihr vor allen Dingen an. Als Studentin, die wenig Wert auf Äußerlichkeiten legte, konnte sie in etwa durchgehen.
Bevor sie das Zimmer verließ, setzte sie sich noch an den kleinen Schreibtisch und schrieb auf Hotelpapier zwei Mitteilungen an den Professor.
Die eine war recht kurz: Bin bei ein paar Radiostationen. Tue da dasselbe wie du bei den Zeitungen. Kuß, Nicole.
Die zweite Mitteilung, eher schon ein Brief, nahm etwas mehr Zeit in Anspruch.
Während sie die erste Notiz deutlich sichtbar auf dem Schreibtisch liegen ließ, steckte sie die zweite in einen Briefumschlag, klebte diesen zu und verstaute ihn dann in ihrer Handtasche.
Wenig später war sie unten in der Halle. Sie verzichtete darauf, einen der Frühstücksräume aufzusuchen, denn sie wollte das Risiko nicht eingehen, dem Chef doch noch in die Arme zu laufen.
Statt dessen ging sie sofort zur Rezeption und gab dort den Briefumschlag ab.
»Würden Sie dies bitte Mister Zamorra übergeben?« sagte sie zu dem Hotelangestellten. »Aber bitte erst heute abend. Nicht vor… achtzehn Uhr.«
»Ich schreibe es auf, Miß Duval«, sagte der Rezeptionist, als er den Brief in Empfang nahm.
»Kann ich mich fest darauf verlassen?« versicherte sich Nicole noch einmal.
»Hundertprozentig! Mister Zamorra wird diesen Brief Punkt achtzehn Uhr bekommen. Wenn er zu diesem Zeitpunkt im Hause ist, heißt das.«
Der Angestellte lächelte sie wissend an. Vermutlich dachte er an eine Kabale um Liebe und Leidenschaft.
Wenn du wüßtest, dachte Nicole. Sie lächelte zurück und ging dann mit schnellen Schritten zum Ausgang.
Sie winkte eine Taxe heran und stieg ein.
»Arlington Heights«, sagte sie.
Der Fahrer nickte und fuhr an. Nach einer Weile erkundigte er sich: »Wo genau in Arlington Heights?«
»Temple of Light.«
Der schnelle, verdeckte Seitenblick, den ihr der Taxifahrer zuwarf, entging ihr nicht. Sie hörte ihn förmlich laut denken: Wieder so eine Verrückte. Und dann auch noch großkotzig genug, um mit der Taxe vorzufahren.
Der Mann dachte genauso falsch wie der Rezeptionist im Sheraton. Wenn auch in ganz anderer Richtung.
Dann hielt der Wagen vor dem Hochhaus der Sekte an.
Nicole stieg jedoch noch nicht aus. »Fahren Sie eine Straßenecke weiter«, wies sie den Fahrer an. Wenn sie jemand von den Weißgewandeten gesehen hatte… Es machte wirklich einen komischen Eindruck, wenn sie wie eine feine Dame mit dem Taxi vorfuhr.
Am nächsten Häuserblock fuhr ihr Chauffeur an den Straßenrand.
Nicole zahlte und stieg aus.
»Glückliches Leben!« rief ihr der Fahrer noch nach, dann lenkte er sein Gefährt wieder in den Verkehr.
Mit langsamen Schritten ging Nicole den Weg zurück, bis sie wieder vor dem sogenannten Tempel stand. Jetzt beschlich sie doch ein eigentümliches, angstvolles Gefühl. Sie hatte bisher noch keine unmittelbaren Erfahrungen mit den Sektenmitgliedern gemacht. Alles, was sie wußte, hatte sie aus dritter Hand. Von Lucien de Marteau, vom Chef, aus der Zeitung… Der berühmte Unterschied zwischen Theorie und Praxis wurde ihr bewußt.
Sie zögerte, stellte sich vor, wie der Professor reagieren würde, wenn er erfuhr, daß sie auf eigene Faust die Dinge massiv in Angriff genommen hatte. Noch war es nicht zu spät. Noch konnte sie umkehren.
Dann aber machte sie sich erneut entschieden klar, daß es gar keine andere Möglichkeit gab. Der Chef hatte sich festgefahren. Nicht ohne ihre Schuld, denn sie hatte anläßlich dieses dummen Telefonats in Paris den Kindern des Lichts seine Identität preisgegeben.
Ihm war jetzt der offizielle Zugang zum Tempel versperrt. Ihr jedoch nicht. Und wenn sie als angebliche Journalistin nicht viel ausrichten konnte, wie er gesagt hatte, als Kind des Lichts, als Mitglied der
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