0077 - Das Phantom der Insel
tun irgendetwas hinein, in den Sack. Er soll auf dich warten. Er soll kommen.«
»Und dann?«
»Wir werden eher draußen sein. Wir gehen schon am Nachmittag hinaus. Du wirst uns morgen die Stelle genau zeigen. Wir brechen Zweige ab, wir fällen kleine Bäume, wir bauen uns Verstecke im Wald. Sobald wir ihn sehen, kommen wir von allen Seiten. Er kann nicht mit Blicken töten, das glaube ich nicht. Und wenn einer von uns stirbt, dann gibt er sein Leben für unsere Familie, für unser Haus, Lifar Georghiu. Lo Sardo kann sich nicht nach vier Seiten hin wehren. Und wir werden von vier Seiten kommen, mit Knüppeln werden wir ihn erschlagen. Mit Messern werden wir ihn erstechen. Und wenn es ihm nicht reicht, schlagen ihn unsere Fäuste tot. Wir sind keine Feiglinge, Lifar. Wir kämpfen gemeinsam.«
Der alte Bauer sah um sich. Er sah jedem der Männer in die Augen.
Und aus allen diesen Augen leuchteten ihm Mut und Entschlossenheit entgegen.
»Wir werden es tun, wie es dein Plan ist«, sagte Georghiu.
Lo Sardos Tod war beschlossene Sache.
Aber der Dämon sollte sie noch einmal zum Zittern bringen, wie sie es sich nicht vorstellen konnten.
***
Den ganzen nächsten Tag verbrachten Zamorra, Nicole und der junge Marcello mit Fahrten durch das Hochland. Es gab kleine Nebenstraßen, wo die ganze herbe Schönheit der Insel zutage kam, und oft auch gut ausgebaute Straßen.
Die Pracht der üppigen Natur war überwältigend. Es war nicht schwer, die eigentliche Aufgabe zu vergessen, derentwegen sie hergekommen waren.
Pinienhaine wechselten sich mit Korkeichen und Agaven ab. Auf den mittleren Höhen wuchsen Eschen, Tamarisken, Wacholder und Terebinthensträucher. Und an den südlichen Hängen, zu den Tälern hin, reiften Korn und Wein, wuchsen Orangen, Quitten, Mandelbäume und Kastanien, Brombeeren und Holunder, Eukalyptus und Artischocken.
Wo in all dieser Pracht sollte sich ein Unwesen wie Lo Sardo versteckt halten?
Man wußte, daß man mehr oder weniger aufs Geratewohl losgefahren war.
Aber Zamorra verband einen anderen Zweck mit dieser Fahrt.
Es kam ihm darauf an, mit möglichst vielen Menschen zu sprechen. Vielleicht ließ sich ein Hinweis finden, nur ein kleines Anzeichen dafür, wie man dem Rachegeist auf die Spur kommen könnte.
»Rechnen wir einmal die Küstengebiete der Insel ab«, sagte der Professor. »Wie groß wäre dann das Gebiet noch, in dem wir zu suchen hätten?«
Marcello dachte nach.
»Das sind fast zehntausend Quadratkilometer«, sagte er schließlich.
»Fast unmöglich, zum Ziel zu kommen«, meinte Nicole Duval und schüttelte ihren Blondkopf im Fahrtwind.
»Das ist gar nicht so unmöglich«, hielt ihr Marcello entgegen.
»Wenn wir täglich nur hundert Kilometer fahren, werden wir bald mehr wissen.«
Es stellte sich bald heraus, daß der junge Bergführer recht hatte.
Er kannte die Menschen der Insel. Er sah, wo Menschen der sardischen Bevölkerung lebten. Und er erkannte in anderen die Nachkommen fremder Völker.
»Wir werden nur die Leute fragen, in denen wir die Spanier erkennen«, schlug er vor. »Die Einheimischen geben uns keine Auskunft. Sie fürchten Lo Sardos Rache. Wer über ihn spricht, begeht nach ihrer Meinung einen Verrat. Aber die anderen sind verängstigt, sie haben vom Tod der Spanier gehört. Wir werden bald wissen, Professore, wo Lo Sardo sich manchmal aufhält.«
Marcello sollte auch damit recht behalten. Mit dem untrüglichen Instinkt eines mit der Natur verbundenen Menschen fand er die Plätze und Dörfer heraus, wo sich Nachkommen von Spaniern, Italienern und Griechen niedergelassen hatten.
Oft schüttelten die Leute die Köpfe, wenn Marcello aus dem Wagen stieg und sie in ihrem Dialekt ansprach.
»Nichts«, mußte er zugeben. »Die Leute sagen nichts.«
Aber dann geschah es immer öfter, daß ein kleines Aufzucken der Augen, eine fahrige Handbewegung der Leute verrieten, daß sie etwas über Lo Sardo wußten.
Drei Tage waren sie so unterwegs, und mit Hilfe der Aussagen der Bewohner konnten sie fast eine Route zusammenstellen. Einen Weg, den Lo Sardo gegangen sein könnte.
***
Am vierten Tag kamen sie an einen Fluß, der den Namen Coghinas führte. Diese Gegend war fast unbewohnt.
»Keine Menschenseele weit und breit«, sagte Nicole Duval. »Hier werden wir vergebens forschen.«
»Das glaube ich nicht, Signorina«, bemerkte Marcello. »Die Gegend ist voll von guten Verstecken. Ich weiß es von meinem Vater. Sehr oft hat man hier schon ganze Nester von
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