0078 - Im Geisterreich der Wikinger
Stunden gewonnen.
Dennoch brannte ihm die Zeit auf den Nägeln. Ungeduldig ließ er die Paßformalitäten und die Zollabfertigung über sich ergehen. Als er dann endlich mit seinem Koffer durch die Sperre war, eilte er sofort zum Büro der Firma Hertz und nahm sich einen Mietwagen.
Wenig später fuhr er mit dem Citroën-Simca los – Richtung Loire-Tal.
Normalerweise wurde er, wenn er nach Frankreich kam, von Zamorra oder Nicole am Flughafen abgeholt. Deshalb kannte er die Strecke recht gut. In gut zwei Stunden hatte er den Wohnsitz der beiden Freunde erreicht.
Der Anblick von Château de Montagne faszinierte ihn immer wieder. Das Schloß lag etwas abseits von einem kleinen Dorf, auf einem Hügel, der ringsum von Bäumen umgeben war. Der Wind rauschte in den Wipfeln wie ein im Hintergrund spielendes Sinfonieorchester. Das Château war alt, sehr alt sogar, wenn auch modernisiert und auf neuzeitlichen Wohnkomfort zugeschnitten. Dennoch hatte es nichts von seinem etwas düsteren, romantischen Zauber verloren.
Der Historiker nahm sich jetzt jedoch nicht die Muße, die Atmosphäre auf sich einwirken zu lassen. Er hatte keine Zeit zu verlieren.
Raffael Bois empfing ihn am großen Eingangsportal. Er freute sich sichtlich Bill begrüßen zu können. Die Freude wurde jedoch deutlich von der Sorge überschattet, die sich in seinem Gesicht abzeichnete.
Raffael war ein treuer, ergebener Diener. Das ungewisse Schicksal Zamorras und Nicoles ging ihm schwer an die Nieren.
»Monsieur Fleming, wie gut daß Sie da sind!«
Bill erwiderte den Gruße des Butlers, wurde jedoch schnell sachlich. Er erklärte sich gerade noch bereit, einen kleinen Imbiß zu sich zu nehmen, dann wollte er gleich wieder aufbrechen.
Bois verstand das. Er bat den Amerikaner ins Studio und übergab ihm sofort die Schatulle mit Zamorras Amulett. Während der Diener den Imbiß zubereitete, betrachtete Bill den magischen Talisman.
Es hing an einem dünnen Kettchen und war aus purem Silber. Im Mittelpunkt erkannte Bill den Drudenfuß, den fünfstrahligen magischen Stern. Ein dünnes Band umgab das Zentrum, in das die zwölf Tierkreiszeichen eingelassen waren. Dann gab es noch den äußeren Ring, der zahllose zauberträchtige Symbole zeigte. Die Bedeutung der Zeichen war Bill nicht bekannt. Er wußte lediglich, daß sie auf die Nähe böser Mächte reagierten. Dann erwachte die in ihnen schlummernde Macht des Lichts. Das ganze Amulett erwärmte sich und fing an zu strahlen. Je stärker sich die finsteren Kräfte manifestierten, desto heller strahlte es, desto mehr erwärmte es sich. Und es war in der Lage, den Amuletträger zu schützen und gegebenenfalls die Macht des Bösen zu brechen.
Bill steckte den Talisman in seine Rocktasche. Ihn sich um den Hals zu hängen, wäre ihm wie Hochstapelei vorgekommen. Dieses Vorrecht hatte allein Professor Zamorra, der rechtmäßige Eigentümer des Amuletts.
Wenig später war Raffael wieder zur Stelle. Er servierte dem Historiker Crepes mit Meeresfrüchten. Dazu einen Pokal köstlichen Landweins. Der Imbiß tat Bill gut, zumal Bois wieder einmal bewiesen hatte, daß er ein wahrer Hexenmeister der Kochkunst war.
Anschließend rüstete er zu schnellem Aufbruch.
»Ich hoffe, Sie kommen bald wieder«, sagte Raffael zum Abschied.
»Mit dem Professor und Mademoiselle Duval!«
Bill hoffte es auch. »Ich werde mein Bestes tun, Raffael«, versprach er. Dann verließ er Château de Montagne.
Die gut vierhundert Kilometer lange Fahrt nach St. Briand schlauchte ihn sehr. Es gab keine Autobahn, und so war er gezwungen, sein Ziel über normale Landstraßen anzusteuern. Das kostete Körper- und Nervenkräfte. Besonders letztere. Bill war das Verkehrschaos von Manhattan gewohnt, das wirklich niemand als Zuckerschlecken hinstellen konnte. Aber alles, was sich zwischen Hudson und East River tat, war nicht vergleichbar mit dem Kavaliersstil, den die französischen Autofahrer an den Tag legten. Speziell die Lastwagenfahrer, von denen es auf der Straße nur so wimmelte.
Es war bereits Abend, als Bill La Rosy erreichte, das letzte Dorf vor St. Briand. Obgleich er inzwischen einen rechtschaffenen Hunger entwickelt hatte, widerstand er der Versuchung, einen der offenbar stark frequentierten Gasthöfe im Ort aufzusuchen. Zuerst wollte er sich an Ort und Stelle von der Realität der geheimnisvollen Nebelbarriere überzeugen.
Demgemäß durchfuhr er La Rosy und lenkte seinen Leihwagen auf die Landstraße, die unmittelbar nach St. Briand
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