008 - Der schlafende König
persönlich. Die Schimpfkanonade, die er in seinem Heimatdialekt abließ, ließ Aruula erröten und die Guule erbleichen.
Matt verstand zwar kaum ein Wort, aber er begriff, dass ihr Retter darauf bestand, sie zum Verhör in die Goldene Gruft seiner Ahnen mitzunehmen.
Von der Straße, in der sich einst das gläserne Hochhaus der Nationalbank befunden hatte, war nichts mehr zu sehen.
Auch das Hochhaus war nicht mehr da. Nachdem es vor Jahrhunderten aufgrund von Erdverschiebungen eingestürzt war, war die Ruine unter Morast, Gestein und Bäumen unsichtbar geworden. Dort wo der Kapitalistentempel einst in die Höhe geragt hatte, befand sich nun ein von Gras, Gestrüpp und Zedern überwucherter zwanzig Meter hoher Hügel.
Die Guule geleiteten die »Gefangenen« Sepp Nüssli marschierte, eine Zigarre zwischen den Zähnen, an der Spitze ihres Pulks zu einer höhlenartigen Öffnung am Fuße des Hügels. Matt staunte nicht schlecht, als sein Blick auf den garagentorgroßen Eingang eines Banksafes fiel, der in die Hügelwand eingelassen war.
Sepp erbat sich von einem Guul einen Morgenstern, holte aus und schlug mit der Waffe gegen die Tür, bis Matts Ohren klingelten. Eine halbe Minute später ertönte ein leises Zischen. Die Guule wichen ängstlich zurück. Das Tor schwang auf. Matt schätzte, dass es zwei Meter dick war. Dahinter lag ein etwa zwanzig Quadratmeter großer Raum mit marmornen Wänden. An seinem Ende befand sich eine weitere Stahltür, die der ersten wie ein Zwilling ähnelte. Eine echte Schleuse.
***
Sepp warf den Morgenstern über seine Schulter, winkte Matt und Aruula zu und trat ein. Die angeblichen Gefangenen folgten ihm auf dem Fuße. Die Guule blieben zurück. Das Tor schloss sich. Sie standen im Dunkeln. Sekunden später knirschte es und die zweite Stahltür öffnete sich. Wieder ein Gang. Er wurde vom Licht zahlreicher Fackeln erhellt.
Vor ihnen stand ein Gnom, der Sepp wie ein Bruder glich, nur hatte er extreme Plattfüße und seine Ohren waren noch etwas spitzer. Er trug ein Monokel im rechten Auge. In seinem Gürtel steckten ein Hämmerchen und ein Meißel, und er hielt eine zwei Zentimeter dicke graue Steinplatte im DIN-A4-Format in der Hand.
»Grüezi, Fanty«, sagte Sepp und gab seinen Freunden mit einem Wink zu verstehen, dass sie ihm folgen sollten.
»Grüezi, Sepp«, erwiderte Fanty. Doch als sie an ihm vorbeimarschieren wollten, rief er:
»Momang!« Er schaute Matt und Aruula an.
»Eure Namen?«
Matt stellte sich und Aruula vor. Daraufhin legte Fanty die Platte auf den Boden, kniete sich vor sie hin, zuckte Hämmerchen und Meißel und schlug ihre Namen fachmannisch in den Stein.
»Ordnung muss schließlich sein«, sagte er.
»Fanty ist unser Informatiker«, sagte Sepp. Matt und Aruula schauten sich um. Sie waren so baff wie neugierig. Auch der Gang, durch den sie sich nun bewegten, war ganz und gar in Marmor ausgeschlagen. Wenn es sich um die Kellerräume der Nationalbank handelte, hatten die alten Schweizer Bankiers wirklich nobel gelebt. Zudem war alles so blitzblank gewienert, dass man vom Fußboden speisen konnte.
Ihre Stimmen klangen in dem leeren Gang hohl, aber dies änderte sich, als sie nach rechts in einen gigantischen Raum abbogen.
»Boah…«
Matt blieb stehen und rieb sich wie geblendet die Augen. Rechts und links, vor und hinter ihnen türmten sich, wie in den Gängen einer Bibliothek, zehn Meter hoch die Goldbarren auf. Es mussten Hunderttausende sein, die im Schein der Fackeln funkelten und blitzten. Matthew Drax kam sich vor wie im Märchenland.
Als sie zwischen zwei Riesenstapeln hergingen, ratschte Aruula, die den Wert des Goldes gar nicht einzuschätzen wusste, mit ihrem Schwert verspielt an den Barren entlang. Fanty rief sie sofort unter Androhung einer
»gerichtlichen Verwarnung« zur Ordnung.
Am Ende der Barrenberge, etwa vierzig Meter vom Eingang des Raumes entfernt, stießen sie auf drei Gnome mit spitzen, nach oben gebogenen Schuhen und faltigen Gesichtern. Sie schienen ein sehr hohes Alter erreicht zu haben. Sie saßen auf winzigen Stühlen an einem winzigen Holztisch und spielten mit einem Lederbecher und Würfeln. Auf dem Tisch und neben ihm stapelten sich die Goldbarren, um die sie offenbar zockten. Sie bemerkten die Ankömmlinge erst, als Fanty sich mit einem zurückhaltenden Hüsteln meldete. Die drei alten Gnome wandten sich um und schauten sie an. Als ihr Blick auf Sepp fiel, schlug sich deutliche Grantigkeit in ihren Blicken nieder. Der
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