008 - Hexenbalg
gesagt,
eigentlich war sie aber wütend. Sie hatte Trost und Aufheiterung gesucht und stattdessen dummes Zeug anhören müssen. Es war wohl besser, die Besuche bei Mrs. Richards einzustellen. Auf dem Heimweg halfen ihr der strahlende Nachmittag und die Sonne, der trüben Stimmung Herr zu werden.
Als ihr Peter am Abend das Schlafmittel zeigte, das er aus der Apotheke mitgebracht hatte, sah sie das Fläschchen mit den Pillen angewidert an. »Damit dich keine bösen Träume plagen, Liebling«, sagte er und übergab ihr das Mittel.
»Ich möchte im Bett noch eine Weile lesen«, brachte sie als Ausflucht hervor.
»Aber nimm vorher die Tabletten. Dann kannst du lesen, bis dir die Augen zufallen.«
»Nein, nein, womöglich schlafe ich ein, wenn es am spannendsten ist. Das wäre schrecklich.«
»Na schön.« Damit war die Sache für ihn abgetan. Er drehte sich um und war bald eingeschlafen.
Sie versuchte krampfhaft, sich auf ihre Lektüre zu konzentrieren. Neben ihr auf dem Nachttischchen stand die Flasche und wartete auf ihre Entscheidung. Nach einer Weile legte sie das Buch weg und langte nach den Tabletten.
Sie öffnete die Flasche und überlegte. Ganz plötzlich verschloss sie sie wieder und schaltete das Licht aus. Mit geballten Fäusten lag sie in der Dunkelheit und wartete.
Sie wusste nicht, wann sie endlich einschlief, aber schließlich drang wieder das schreckliche Weinen an ihr Ohr. Mit einem Schlag war sie hellwach. Draußen vor dem Fenster war schon die rosige Andeutung der Morgendämmerung zu sehen.
So konnte es nicht weitergehen. Sie musste entweder das Schlafmittel nehmen oder sich der Puppe entledigen.
Zwar war es albern, eine Puppe wegzuwerfen, nur weil eine alte, abergläubische Frau dazu geraten hatte. Noch alberner aber war es, die Puppe zu behalten, die ohnehin ramponiert und von Mäusen zerfressen war. Endlich, am späten Nachmittag, stieg sie unbeholfen zum Dachboden hinauf. Sie nahm die Puppe. Die blauen Augen mit dem lieblichen, nachdenklichen Blick sahen sie an. Sie drückte den angenagten Körper der Puppe an sich und lief damit in den Keller hinunter.
Es ist ja nur eine Puppe! Sie öffnete die Ofentür. Hitze flutete ihr entgegen. Fast hätte sie aufgeschluchzt, als sie die Puppe in die Flammen warf und zusah, wie das weiße Taufkleidchen zum Leichentuch wurde. Wie angewurzelt stand sie da und starrte ins Feuer. Als letztes verbrannte der Kopf. Entsetzt sah sie, wie das traurige Gesichtchen sich ihr zuwandte.
Nur eine Puppe. Und doch hatte sie damit das einzige im Haus zerstört, das ihr ein gewisser Trost gewesen war. An diesem Abend war sie sehr bedrückt, und wieder einmal musste sie die Erfahrung machen, dass sie Peter gegenüber nicht aussprechen konnte, was sie quälte.
Konnte sie denn sagen: »Ich habe die Puppe verbrannt und fühle mich, als hätte ich jemanden getötet?« Nein, unmöglich. Er würde bloß wissen wollen, warum sie die Puppe verbrannt hatte.
Das Verbrennen war sicher sinnlos gewesen. Sie war auf sich selbst wütend. Und als sie zu Bett ging, musste sie feststellen, dass von Schlaf keine Rede sein konnte. Sie nahm zwei Tabletten – und der Traum vom schreienden Kind blieb aus.
In den folgenden Wochen wurde die Erinnerung an den Traum immer blasser und schwand dann fast ganz aus ihrem Bewusstsein. Schließlich waren auch keine Pillen mehr nötig, und das Schreien ließ sich nicht wieder hören.
Und dann kam Weihnachten.
Gemeinsam suchten sie die große Tanne aus und schmückten den Baum auf das prächtigste. Mispelgeruch vermengte sich mit würzigen Küchendüften, und am Heiligen Abend fiel neuer, ganz weicher Schnee, der die im Haus herrschende Wärme noch anheimelnder werden ließ. Beth, die in Vorbereitungen schwelgte, war überrascht von der gemütlichen Stimmung, die sich so sehr von der Stimmung des vorangegangenen Jahres unterschied.
Und dann kam das Öffnen der Geschenkpakete. Peter hatte für sie ein wunderschönes Halsband mit einem Opalanhänger ausgesucht. Beth war selig. Aber da lag noch eine Menge kleiner Päckchen unter dem Baum.
»Ich muss sagen, der Weihnachtsmann hat unser Baby im voraus bedacht«, sagte Peter. »Ich glaube, wir dürfen sie für unseren Jungen auspacken.«
Es war eine komplette Babyausstattung, ganz in Blau. Beth drehte und wendete die winzigen Sachen und konnte sich nicht satt daran sehen. Es war das erste Mal, dass sie solche Einkäufe gewagt hatten, und dadurch war das Baby etwas sehr Wirkliches und Nahes. Und doch
Weitere Kostenlose Bücher