0084 - Das Buch der grausamen Träume
Ruderer wußten, wie sie ihr Floß zu steuern hatten. Zütas Reich war nahe.
Das Wasser wurde flacher, die Strömung aber stärker. Schlamm und Schlick, von den unterirdischen Kreiseln aufgewühlt, trieben der Oberfläche entgegen. Wenig später schabten die Bohlen über den Grund. Sand rieb gegen das Holz, Wellen schäumten über, und im nächsten Augenblick lief das Floß auf.
Es gab einen Ruck, dann lag das Floß still.
Die Monster und zwei Ruderer verließen das primitive Floß.
Leo Genn konnte nur ahnen, was die beiden Männer taten. Er nahm aber an, daß sie ihr Floß vertäuten.
Das Licht schien in der Luft zu hängen. Es ähnelte einem Kreis, der an den Rändern langsam zerlief.
Gerald McKenzie drehte sich um und winkte den beiden zurückgebliebenen Ruderern.
Sie wußten Bescheid.
Beide schritten sie auf Leo Genn zu und schnitten seine Fesseln durch.
Dies geschah so schnell, daß Leo Genn sich nicht mehr fangen konnte und nach vorn fiel.
Niemand fing ihn auf. Er knallte auf die Bohlen. Ein Holzsplitter riß ihm die Haut am Kinn auf.
Die Männer bückten sich und zogen ihn hoch.
Schlaff hing Leo Genn in Ihrem Griff. Seine Widerstandskraft war gebrochen. Er konnte nicht mehr, war erledigt, am Ende…
Sie schleiften ihn über das Floß.
Unbeweglich stand der alte Gerald McKenzie und schaute zu, was seine Helfer taten. Er übersah die flehenden Blicke, die ihm Leo Genn zuwarf. Dieser Mann hatte sich sein Schicksal selbst zuzuschreiben. So und nicht anders sah es McKenzie.
Genn und seine beiden Bewacher betraten die Insel mitten im Fluß. Der faulige Geruch hatte sich verstärkt. Zum erstenmal sah Genn seine Umgebung.
Verfilztes Unterholz, kniehohes Gras und morsche Bäume mit traurig nach unten geneigten Ästen und Zweigen bildeten ein fast undurchdringliches Wirrwarr. Das Licht strahlte irgendwo im Dickicht auf und wurde auch von der Vegetation nicht gestoppt. Der Inselboden war weich. Überall sammelte sich Wasser. In der Nähe gluckste und schmatzte es. Wieder ertönte der Schrei des Käuzchens.
Leo Genn zuckte zusammen. Die Melodie des Totenvogels hatte er am Anfang gehört und jetzt am Ende. Sie würde ihn ins Jenseits begleiten.
Nebelfetzen schwangen vom Wasser her wie Schleier auf das kleine Eiland und legten sich gespinstgleich zwischen Zweige und Äste.
Leo Genn sah keine Fluchtmöglichkeit durch dieses Dickicht, aber er war nicht überrascht, als seine beiden Bewacher einen kaum erkennbaren Pfad betraten, der in diesen grünen Dschungel hineinführte.
Der Pfad war schmal. Die Bäume links und rechts wuchsen über ihm zusammen und bildeten ein nahezu undurchdringliches grünes Dach.
Man konnte das Gefühl haben, mitten im brasilianischen Dschungel zu sein, nicht aber in Europa. Rücksichtslos zogen die Bewacher Leo Genn weiter. Sie kümmerten sich nicht darum, daß er hin und wieder hängenblieb. Dornen und widerspenstige Zweige griffen nach seiner Kleidung, zerrten daran und rissen Fetzen aus dem Stoff. Gerald McKenzie ging hinter ihm.
Der Alte hielt sich aufrecht. Sein Mund wirkte in dem unbewegten Gesicht wie ein schmaler Strich. Nur die Augen funkelten in einem seltsamen Glanz. Urplötzlich war der Pfad zu Ende. Eine kleine Lichtung lag vor den Ankömmlingen. Und hier gloste das rote Licht.
Wie eine Sonne stand es über einer, aus Blättern und Schilf gefertigten Hütte, die den Mittelpunkt der Lichtung bildete. Selbst die Eingangstür bestand nicht aus Holz, sondern aus Schilfrohr. Der Eingang wurde bewacht. Zu beiden Seiten standen zwei Wassermonster. Man mußte schon genau hinsehen, um sie zu erkennen, denn ihre Körper verschmolzen mit dem dunklen Grün der Umgebung. Die Bewacher stoppten.
Zwangsläufig blieb auch Leo Genn stehen. Er wäre zusammengesackt, hätten ihn die starken Arme der Männer nicht gehalten. So sehr war er am Ende seiner Kraft. Gerald McKenzie ging vor.
Niemand hielt ihn auf, als er die Tür der Hütte aufzog. Er duckte sich und trat ein. Es wurde still auf der Lichtung.
Selbst die Tiere des Moors schienen den Atem anzuhalten. Als wüßten sie, daß bald etwas Schreckliches geschehen würde. Nach einer Weile kehrte Gerald McKenzie zurück. Er blieb vor der Tür stehen.
Das rote Licht umhüllte seine Gestalt. Der Alte nickte.
Die beiden Bewacher zogen Leo Genn vor. Wieder schleiften die Füße des Mannes über den Boden und hinterließen tiefe Spuren im feuchten Untergrund. McKenzie trat zur Seite.
Leo Genn wollte etwas sagen, den Alten um Gnade
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