0084 - Das Buch der grausamen Träume
sollten.
»Ich kann es versuchen«, sagte Julia. »Drehen Sie sich um.«
Sofort spürte ich Julias Finger an meinen Armen. Leider war unsere Körpergröße zu verschieden, und Julia wollte, daß ich in die Hocke ging.
Den Gefallen tat ich ihr gern. Jetzt kam sie besser an den Draht. Ihre Finger bewegten sich, suchten nach den beiden Endstücken, dann sagte sie: »Ich habe sie.«
»Ausgezeichnet, fangen Sie an.«
Suko meinte: »Viel Zeit werden wir nicht habe, wenn die Kerle ihren Plan durchfuhren wollen.«
»Das fürchte ich auch«, sagte Julia.
»Keine Panik«, beruhigte ich sie. »Wir werden es schon schaffen.«
Julia de Fries arbeitete unverdrossen weiter. Einmal fluchte sie lauthals, als ihr ein Fingernagel abbrach, aber sie bog die Drähte auseinander.
»Jetzt müßte es leichter gehen«, stöhnte sie, nahm eine Ende zwischen die Finger und begann zu drehen und zu winden. Dieser ganze Vorgang lief in einer nahezu gespenstischen Dunkelheit ab. Ich lauschte immer wieder, denn ich rechnete damit, daß die Männer zurückkehren würden. Vorläufig blieb alles ruhig.
»Es geht immer besser«, sagte Julia in ihrem etwas harten Englisch. »Bin ich froh, daß ich Sie getroffen habe.«
»Noch sind wir nicht frei«, bemerkte ich.
Als hätte sie nur das Stichwort gegeben, hörten wir von draußen plötzlich Stimmen und Schritte.
»Verflucht, jetzt ist es aus«, schimpfte Julia.
»Weitermachen!« zischte ich. »Es sind doch nur noch ein paar Drehungen. Wenn ich frei bin, kann ich durchbrechen und versuchen, euch rauszuholen.«
»Aber Sie sind allein«, widersprach Julia. »Mach weiter, Mädchen!«
Julia de Fries ackerte wirklich. Sie setzte alles ein, während die Stimmen und Schritte schon lauter wurden. Nur Sukos Stimme klang ruhig, als er sagte: »Wenn sie hier sind, werde ich sie ein wenig ablenken, John. Keine Sorge, du kannst dich ganz auf mich verlassen.«
»Danke.«
Mit einem ratschenden Geräusch fuhr von außen ein Schlüssel ins Türschloß. Die Kerle konnte es kaum erwarten. Ich hörte, wie sie, »Hexe, Hexe« riefen. Da flog die Tür auf.
Im selben Moment hatte ich die Hände frei. Zwar hing der Draht noch an einem Finger, doch das störte mich nicht. Das Blut schoß in meine Gelenke. Ich unterdrückte den Schmerz und stellte mich so auf, daß die Männer annehmen mußten, ich wäre noch gefesselt.
Fackelschein blendete uns, so daß ich die Kerle nicht zählen konnte, die das Verlies betraten.
Ich hörte aber die Stimme des Bürgermeisters. »Kommt her!« Darauf hatte Suko gewartet. Er setzte sich in Bewegung. Langsam, als wäre nichts geschehen. Ich hielt den Atem an.
Neben mir zitterte Julia de Fries. Ich hörte sogar das Klappern ihrer Zähne. Bestimmt bebte sie nicht nur vor Kälte. Suko stand vor den Männern.
»Geh raus!« befahl der Zwerg. »Na los! Ihr werdet mit dieser verdammten Hexe sterben. Wir haben es beschlossen!«
Da explodierte der Chinese. Sein Angriff erfolgte für alle überraschend, sogar für mich, denn ich wunderte mich immer wieder über Sukos Reflexe.
Seine Beine peitschten nach links und rechts weg. Die Kerle sahen wohl die Füße, konnten aber nicht mehr rechtzeitig reagieren. Sukos Tritte trafen voll. Dann aber war es aus mit der Herrlichkeit, denn Suko stürzte zu Boden, da es auch für einen Kämpfer wie ihn unmöglich war, das Gleichgewicht mit gefesselten Händen zu halten. In diesem Augenblick griff ich ein.
Wie eine Rakete schoß ich vor. Keiner der Eindringlinge hatte mit meinem Eingreifen gerechnet, und so überraschte mein Angriff sie ebenso wie der Sukos.
Ich nahm die Fäuste.
Zweimal traf ich knallhart, setzte die Schläge in die blassen Ovale der Gesichter und hatte die erste Hürde genommen. Die zweite bestand aus vier Männern. Nein, aus fünf, wenn ich den Zwerg mitzählte. Er geiferte und schrie seine Leute an, damit sie mich fertigmachten.
Die vier Kerle stürzten sich auf mich, und das alles in dem kleinen und engen Kellerflur. Ein mörderischer Kampf entbrannte.
Ich schnappte mir den Bürgermeister, riß ihn hoch und schleuderte ihn gegen die Angreifer. Zwei von ihnen warf der Zwerg um. Doch die anderen beiden stürzten sich auf mich. Sie droschen mit den Fackeln zu.
Unter dem ersten Hieb tauchte ich weg, und die Fackel zog über meinem Kopf einen feurigen Kreis. Die zweite jedoch traf mich an der linken Schulter. Funken sprühten auf, und ich roch verbrannten Stoff. Blitzschnell winkelte ich meinen rechten Arm an und rammte ihn
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