0085 - Der Feuergötze
sollte er sie mit einem kostenlosen Abendessen beschenken, das er auch noch selbst hinbrachte?
Undenkbar!
Verwirrt verließ Ahlem die Küche. So schnell sie konnte, huschte sie zur Terrasse. Im letzten Augenblick sah sie ihren Vater noch. Er verschwand gerade hinter einer Gruppe von Granatbäumen.
Das war der endgültige Beweis. Das Gartenportal, das nach draußen führte, lag in genau entgegengesetzter Richtung. Mit Sicherheit hatte er nicht die Absicht, zum Museum hinüberzugehen.
Sondern?
Es gab eigentlich nur eine Erklärung: Er wollte zu der Geröllwand, hinter der sich dieser unselige Tempel verstecken mußte.
Ahlem ging in den Garten hinein, folgte auf leisen Sohlen dem Plattenweg, der sich ganz durch die künstliche Landschaft schlängelte und nach mehreren hundert Metern vor der Felswand enden würde.
Bald wurde es dunkel um sie. Die Gartenlaternen brannten nur im nahen Umkreis der Terrasse. Der überwiegende Teil des riesigen Gartens war unbeleuchtet. Aber Ahlem kannte sich aus, hätte auch mit verbundenen Augen weitergehen können, ohne vom Weg abzukommen.
Nachtgetier regte sich in den Büschen, Insekten flatterten durch die Luft. Ein leiser Wind wehte und raunte geheimnisvoll in den Bäumen und Sträuchern.
Ahlem fröstelte, ließ sich dadurch aber nicht beirren. Entschlossen ging sie weiter, schnell und leichtfüßig wie eine junge Gazelle.
Bald schon hörte sie Schritte vor sich. Das konnte nur ihr Vater sein. Sie hatte den Anschluß wiederhergestellt.
Etwa hundert Meter war sie jetzt noch vom Ende des Grundstücks, von der Felsenwand entfernt.
Plötzlich wuchs eine Gestalt vor ihr aus dem Boden, so überraschend, daß sie fast zu Tode erschrak.
»Halt!«
Sie erkannte die Gestalt. Es war Farhat, der zweite Leibwächter ihres Vaters.
»Bist du verrückt? Wie kannst du mich derartig erschrecken?« fuhr sie den ehemaligen Studenten an. Er und sein Kollege Djamaa hatten ihr schon immer den Nerv getötet. Brutale Gesellen, die nicht lange fragten, warum sie etwas tun sollten, sondern es auf der Stelle taten, wenn ihr Vater es von ihnen verlangte. Sie waren ihm beinahe hündisch ergeben. Worauf diese Ergebenheit zurückzuführen war, war ihr immer verborgen geblieben.
»Du darfst hier nicht weitergehen, Ahlem«, sagte der Mann.
»Natürlich darf ich das!« beharrte sie störrisch.
»Dein Vater hat es verboten.«
»Ich glaube doch wohl kaum, daß sein Verbot auch für mich gilt. Ich bin seine Tochter. Vergiß das nicht!«
»Er hat nicht gesagt, daß es irgendwelche Ausnahmen gibt!«
Im schwachen Mondlicht sah Ahlem sein Gesicht. Es war kalt und abweisend.
Sie versuchte es mit einer List. »Du siehst die Situation falsch, Farhat«, sagte sie mit fester Stimme. »Du hast sicher gesehen, daß er gerade vorbeigekommen ist. Ich war bei ihm und sollte mit ihm gehen. Nur waren seine Schritte etwas zu lang für mich. Also…«
Mit diesen Worten wollte sie sich an ihm vorbeidrängen. Farhat aber stand wie ein Fels, packte sie am Arm und hielt sie brutal fest.
»Au, du tust mir weh!«
Er ließ sie los. »Geh zurück in die Villa, Ahlem«, sagte er kompromißlos.
Ahlem funkelte in böse an. Ihr war klar geworden, daß sie auf normalem Weg nicht an ihm vorbeikommen würde. Scheinbar gab sie klein bei.
»Ich werde mich bei meinem Vater über dich beschweren«, zischte sie, trat dann aber den Rückzug an.
Als sie sicher war, daß er sie nicht mehr sehen konnte, schlug sie sich seitwärts in die Ziersträucher. Vorsichtig und nahezu lautlos schlich sie wieder nach vorne, parallel zu dem Plattenweg, den Farhat bewachte.
Jetzt mußte sie ungefähr auf einer Höhe mit ihm sein. Sie hörte ihn nicht. Er hatte sie also nicht bemerkt. Geringschätzig kräuselte sie ihre Lippen. Brutal und dumm, das war er, sonst gar nichts.
Sie schlich weiter.
Und dann spürte sie auf einmal eine eiserne Faust in ihrem Nacken. Sie bekam einen harten Stoß, der sie zu Boden stürzen ließ.
Farhat stand vor ihr. Sie hatte ihn also doch unterschätzt, denn er war sehr wohl auf sie aufmerksam geworden.
Er beugte sich nieder, zog sie wieder hoch. Dann hielt er sie mit der linken Hand fest und versetzte ihr mit der rechten eine schallende Ohrfeige.
»Das soll dich lehren, die Befehle deines Vaters zu beachten!« sagte er leidenschaftslos.
Ahlem weinte fast vor Wut. »Du… du…« Ihr fehlten die Ausdrücke.
»Beschwere dich nicht«, fuhr er fort, »sondern sei froh, daß ich die Anweisungen deines Vaters nicht
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