0085 - Der Feuergötze
Feiste sprach neben seiner eigenen Zunge auch eine Sprache, die er Hebräisch nannte. Und dieses Hebräisch hatte große Ähnlichkeit mit der Sprache der Kanaaniter, die wiederum Baalyaton beherrschte.
Baalyaton fragte, lauschte und lernte.
Er lernte, daß mehr als zweitausend Jahre vergangen waren seit dem Fall von Karthago, lernte, daß sich die Welt unerhört verändert hatte während der Zeit, die sie im Schutze des Gottes verbracht hatten, lernte, daß das Land der Verfluchten nur noch eines war unter vielen und all seine Macht verloren hatte.
Und Baalyaton erfuhr, daß der Feiste Sidi Ahmed ben Chedli hieß und ein einflußreicher Mann war in dieser Welt. Ihm gehörte das prächtige Haus dort unten, und auf sein Wort hörten alle Bewohner dieses Hauses. Niemand hätte gewagt, ihm zu trotzen.
Gisgo, der ebenfalls des Kanaanitischen mächtig war, hatte den Wortschwall des Feisten aufmerksam verfolgt. Unschlüssigkeit prägte sein Gesicht.
»Was tun wir nun in dieser fremden Welt, Baalyaton?« fragte er, als der Oberpriester mit der Befragung Chedlis zum Ende gekommen war. »Die Verfluchten existieren nicht mehr, und unser Herr Baal-Hammon genießt keine Achtung mehr unter den Menschen dieser Zeit. Wir sind… überflüssig. Unser Leben hier hat keinen Sinn, keinen Zweck, kein Ziel.«
Baalyaton runzelte die Stirn.
»Deine Worte bringen die Saiten des Unmuts in mir zum Klingen, Gisgo«, erwiderte er scharf. »Wahr ist es: Unser Herr Baal-Hammon gilt nichts in dieser Welt. Aber haben wir nicht gelobt, zu neuer Größe ihm zu verhelfen? Und die Verfluchten? Sie selbst mögen dahingegangen sein, aber ihre Nachkommen leben. Ihnen muß unsere Rache gelten!«
Gisgo schlug die Augen nieder. Die Worte der Rüge hatten ihn getroffen.
»Welchen Weg also werden wir beschreiten?« kam seine Frage mit leiser Stimme.
Vertrauensvoll blickte Baalyaton zum ewigen Feuer hinüber, ließ seine Augen an dem Gott emporwandern.
»Wir werden unseren Herrn Baal-Hammon um ein Zeichen bitten«, sagte er ergeben. »Zunächst jedoch müssen wir uns um unsere Sicherheit sorgen. Die Menschen dieser Zeit dürfen nicht vorzeitig auf uns aufmerksam werden. Sie dürfen nicht wissen, daß der schützende Vorhang gerissen ist. Und wir müssen leben, müssen essen und trinken. Dieser Unreine, den unser Herr verschmäht hat…«, er zeigte auf den in tiefer Trance daliegenden Chedli, »… wird unser Schutzherr und Mittler sein.«
Baalyaton beugte sich wieder über Chedli, richtete seinen bannenden Blick auf die starren Augen des feisten Mannes, in denen kein eigenes Leben war.
»Höre meine Befehle, Sidi Ahmed ben Chedli«, sagte er mit eindringlicher, beschwörender Monotonie.
»Ich höre!« antwortete der Gebannte sofort.
»Du wirst vergessen, was du hier gesehen und gehört hast!«
»Ich werde vergessen, was ich gesehen und gehört habe«, wiederholte der Feiste folgsam. Seine Stimme kam ohne jede Betonung und wies keinerlei Gefühlsregungen auf.
»Du wirst deinen Leuten verbieten, diesen Teil des Gartens zu betreten. Du wirst jedem verbieten, sich unserem Tempel zu nähern!«
Chedli bestätigte den Befehl.
»Du wirst täglich Speis und Trank uns bringen. Und zwar in einer Weise, daß niemand merkt, für wen Fleisch und Wasser bestimmt sind!«
Chedli gelobte es.
»Du wirst sofort hierher eilen, wenn du den Schrei des Löwen hörst!«
»Ich werde zum Tempel eilen, wenn ich den Schrei des Löwen höre.«
Baalyaton ließ einen Augenblick von seinem willenlosen Werkzeug ab.
»Geh zum Eingang und sieh nach, ob jemand in der Nähe ist«, trug er Gisgo auf.
Der Priester nickte, ging mit schnellen Schritten zu der Öffnung in den Felsen hinüber, blickte vorsichtig hinaus. Anschließend kam er wieder zurück.
»Niemand zu sehen«, gab er Auskunft.
»Baal sei Dank!« Baalyaton sah auf Chedli hinunter. »Steh auf und entferne dich! Und wenn die Nacht gekommen ist, kehre wieder und bringe Speis und Trank!«
»Ich werde es tun«, antwortete der feiste Mann.
Er erhob sich, blickte durch die beiden Priester hindurch und schritt ohne zu zögern auf das Felsenloch zu. Sekunden später hatte er den Tempel verlassen.
»Und nun wollen wir unseren Herrn Baal-Hammon um Erleuchtung für unser zukünftiges Tun anflehen«, sagte Baalyaton.
Er trat vor das Bildnis des Gottes und hob die Augen.
»Mächtiger! Du hast uns durch die Jahrtausende geleitet und unseren langen Schlaf bewacht. Nun, da wir aus dem Schlaf erwacht sind, laß uns wissen,
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