0086 - Das Floß der Verdammten
Er hatte sich aufgegeben. Er glaubte an nichts mehr. Weder an das Leben noch an den Tod. Für ihn hatte alles aufgehört.
Er spürte nichts mehr. Er sah und hörte nichts mehr.
Auch die anderen waren bald in einen ohnmachtartigen Schlaf gesunken. Das Floß trieb dahin, und sie spürten es nicht mehr. So merkten sie auch nicht, dass es geschoben wurde. Aus der schwachen Strömung des Wassers heraus, auf die Inseln zu.
Auf die Insel, die ihnen zum Verhängnis werden sollte.
***
Ukupa hatte das Floß von unten her an einer der Schlaufen ergriffen, die die einzelnen Balken verbanden. Mit Leichtigkeit schob er das Floß vor sich her, trieb es halb seitlich gegen die Strömung voran.
Keiner der Männer nahm Notiz davon. Als sie nach einiger Zeit erwachten, blieben sie stumpfsinnig liegen, die Gesichter immer wieder der tückisch glühenden Sonne abgewandt.
Sie spürten nicht das geringste von der Gegenströmung, die das Floß verursachte. Jeder war im Glauben, dass sie der normalen Strömung folgten.
Das ging zwei Stunden lang so.
Dann löste sich der Griff des Ungeheuers vom Floß. Ukupa Lupa tauchte tief weg, ruderte mit seinen Riesenarmen voran, teilte das Wasser vor sich und ließ sich streckenweise treiben.
Hier gab es eine kleine Seitenströmung, die direkt zur Insel führte.
Der Koloss fand die Stelle, wo er hausen und warten würde. Es war eine unterirdische Höhle, tief in den Felsen eingegraben im Lauf der Jahrtausende.
Hier legte er sich auf die Lauer. Er wusste, dass das Floß mit den Männern hier ankommen würde. Sie konnten nicht anders. Sie würden versuchen, Wasser und etwas Essbares zu finden. Es war unmöglich, dass sie die Insel nicht betreten würden.
Und vor allem für einen dieser Männer gab es einen Grund, nicht an dieser Insel vorbeizusegeln. Ukupa hatte ihn schon einmal beobachtet, als er und der Kapitän jenes fremden Frachters das Gold in ihren Seesäcken wegschleppten…
Ukupa, der Bewacher des Inkagolds, legte sich auf die Lauer. In zwei, in spätestens drei Stunden musste das Floß vor der Insel sein.
Ukupa wartete. Nach etwas über zwei Stunden sah er das kleine Segel am Mast des Floßes. Die Männer hielten auf die Insel zu…
***
Es war Henk Barber, der als erster aus dem Schlaf erwachte, der sich wie ein Schleier aus Ohnmacht über die Besatzung des Floßes gebreitet hatte. Eine Minute lang blieb er noch regungslos liegen. Dann wurde er stutzig.
Was war das für ein Lärm in der Nähe?
Nein, kein Motorengeräusch. Auch nicht das Tuckern eines Bootsmotors. Die Stimmen klangen heller und viel höher. Und ungleichmäßiger.
Da wusste er es.
Vögel! Es waren Vögel in der Nähe!
Jeder Seemann brachte Vögel sofort mit dem Begriff Land in Verbindung. Land in der Nähe! Gleichgültig, ob es sich um eine Insel oder das Festland handelte!
Henk Barber ließ keine Sekunde mehr verstreichen, als er sich im klaren war. Er weckte die Männer.
Schlaftrunken und immer noch geschwächt, rieben sie sich das Salzwasser von den Lidern.
»Was ist?«, fragte Jean Delay.
»Hör selbst«, antwortete der Amerikaner und zeigte in die Richtung, aus der die Vogelstimmen zu hören waren.
»Hörst du nichts?«, fragte er, als Delay keinen Laut von sich gab.
Angestrengt lauschte dieser nach vom.
Dann begriff er.
»Vögel!«, stieß er hervor. »Vogelstimmen! Laut und deutlich! Schrill und durcheinander, und ganz herrlich! Das bedeutet Land! Land! Land!«, rief er, und die anderen fielen bald ein.
Die Schwäche, die körperlichen Gebrechen waren vergessen.
Land voraus!
Die Männer wussten, was Barber vorhatte, als er das Notsegel von der Stange riss und fast achtlos zu Boden gleiten ließ. Moreno Garrera hob es auf, wickelte es zusammen und schützte es davor, dass es vom überflutenden Wasser fortgeschwemmt werden konnte.
Henk Barber löste die Halteriemen aus Stoff, mit denen der kleine Mast notdürftig befestigt war.
Dann war er schon am linken Rand des Floßes. Er packte den Mast, der nicht viel mehr als eine dicke Stange war, und begann heftig zu rudern.
»Hundert Stöße wird jeder machen«, kommandierte er. »Und immer zehn links, dann zehn auf der rechten Seite. So halten wir den Kurs.«
Die Männer nickten, als Henk Barber sich als erster ans Werk machte. Nach den ersten hundert Ruderstößen übergab er die Stange an Ben Benson.
»Los, du«, sagte er knapp.
Der Engländer machte seine Sache gut, er stand Barber in nichts nach. Zwar fehlte der Stange das Ruderblatt. Aber
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