009 - Die Bestien
legen, ist doch ein bisschen spießig, Gilles.«
»Vielleicht. Aber ich habe es lieber, wenn ich den familiären Hintergrund der Leute, die ich zu meinen Freunden mache, kenne. Ist dir noch nicht aufgefallen, was für einen merkwürdigen Blick sie manchmal hat?«
»Nein.«
Robert sagte nicht die Wahrheit. Auch ihn hatten manchmal gewisse Blicke des Mädchens seltsam angemutet. Doch er zog es vor, sich an andere Momente zu erinnern, als sie ihn heiter und offen, ja beinahe zärtlich angeblickt hatte.
Gilles sagte in leichterem, fast scherzhaftem Ton: »Immerhin passieren all die seltsamen Dinge seit dem Tag, an dem sie hier eingetroffen ist. Sie stieg aus ihrem Wagen, und im selben Moment drehte die Meute der Hunde durch.«
»Was willst du damit sagen?« fragte Robert leicht verärgert.
»Nichts weiter. Es fiel mir nur gerade so ein. Elina ist eben anders als andere Mädchen, alles andere ist wahrscheinlich nur Zufall.«
»Du beunruhigst mich, Gilles. Jetzt glaube ich bald, dass du wie Coutarel Hexerei für möglich hältst.«
»Glaube mir, Robert, das alles hat mich mehr erregt, als ich dir sagen kann.«
»Ich glaube, du brauchst einen Cognac, mein Junge.«
»Allerdings«, stimmte Gilles ihm zu.
Der Gong rief zum Abendessen, und sie beendeten ihr Gespräch.
Zu Beginn der Mahlzeit herrschte allgemein gute Stimmung. Nur Catherine war stiller als sonst, und das traf auch auf den Gastgeber zu.
Eulalia hatte nicht erst bis zum nächsten Tag gewartet, um ihr Huhn auf Hausfrauenart zu präsentieren. Während die Gäste sich das erlesene Gericht schmecken ließen, steckte sie den Kopf zur Tür herein und erkundigte sich, ob man zufrieden war. Sie erhielt aufrichtige Komplimente.
Elina berichtete von einer Tournee durch Italien, sie sie einige Monate zuvor gemacht hatte. Aufgekratzt erzählte sie einige heitere Begebenheiten von dieser Reise.
Der Oberst, dem man das Essen an einem kleinen Tischchen serviert hatte, damit er in seinem Liegesessel liegen konnte, sprach daraufhin ebenfalls von Italien, wo er im Krieg gekämpft hatte.
John Hopkins steuerte ein sehr komisches Abenteuer zur Unterhaltung bei.
In einem Hotel in Neapel hatte man ihn für ein Gespenst gehalten. Das war ihm auch schon einmal in einem Schloss in England passiert und kam daher, weil er, wenn er nachts durch die Gänge ging, seinen Bademantel über den Kopf zog.
»Wenn Sie mich hier einmal im gleichen Aufzug sehen«, sagte er, »bitte ich Sie, sich nicht zu fürchten. Denken Sie nur, das ist ja bloß der verrückte Hopkins, der ein Bad genommen hat.«
»Sie waren schon immer ein Spaßvogel, John«, sagte Georges Sirven ein wenig verärgert.
»Ich? Aber durchaus nicht. Ich bin doch der ernsthafteste Mensch von der Welt. Apropos Gespenster – wussten Sie, dass es in Ihrem Schloss hier mal eines gegeben hat? Zumindest behaupten das die Chronisten. Gestern habe ich in Ihrer Bibliothek ein merkwürdiges Buch gelesen, ein sehr altes. Es scheint mir, dass die Gegend hier im Mittelalter voll böser Geister und Hexenmeister war.«
»Die gab es im Mittelalter überall«, erwiderte Georges Sirven. »Weil die Menschen so abergläubisch waren, glaubten sie, überall solche Wesen zu sehen.«
»Gewiss. Aber ich finde diese Dinge zumindest in historischer Hinsicht sehr interessant. So genaue Angaben habe ich noch nie darüber gefunden.«
»Ja, das stimmt«, meldete sich der Oberst zu Wort. »Ich bin ja kein Spezialist auf diesem Gebiet, aber weil ich heute nichts anderes tun konnte, habe ich mich auch mal in der Bibliothek niedergelassen. Auf dem Tisch lagen einige alte Bücher, uralte, in Leder gebundene Folianten. Ich habe darin geblättert und war bald völlig von meiner Lektüre gefangen genommen. Dieses alte Dorf, in dessen Ruinen ich von dem Eber verletzt worden bin, soll damals das Zentrum der Hexerei in dieser Gegend gewesen sein. Es hieß Hurlette, wie Sie ja wissen. Alle möglichen schaurigen Vorgänge sollen sich dort abgespielt haben. Gespenster sind dort erschienen und Geister wurden beschworen. Die alten Bücher berichten von einem Tier, das schaurig gelacht haben soll, und von einem riesigen Falken, einem schwarzen Hund, einer Seeschlange und von einem Ungeheuer mit zwei Köpfen, das unzählige Zeugen gesehen haben wollen. Manche sind bei seinem Anblick vor Schreck gestorben. Ihr Schloss, lieber Georges, wird oft erwähnt. Der Marquis de Lynx lebte damals hier, und man glaubte, dass er zaubern konnte und im großen Saal der
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