009 - Die Bestien
Wachen Geister beschwor. Aus diesem Saal der Wachen ist später, wenn ich mich nicht irre, der Raum geworden, in dem wir uns jetzt befinden.«
»Reden wir lieber von etwas anderem«, sagte die Gastgeberin mit blassem Gesicht. »Sie machen mir ja Angst.«
»Aber warum denn?« erwiderte Hopkins. »Verehrte gnädige Frau, in England ist jeder Schlossbesitzer stolz auf seine Gespenster, und sie sind das Lieblingsthema, wenn Gäste da sind. Man erzählt sich die alten schaurigen Geschichten, und wenn dazu der Wind ums Haus pfeift, so wie jetzt gerade, läuft allen ein angenehmer Schauer über den Rücken.«
Unwillkürlich horchten alle nach draußen. Tatsächlich war ein Wind aufgekommen. Robert betrachtete die Mienen der Gäste. Sie sahen nicht gerade entzückt aus. Catherine hatte nach Gilles’ Ellbogen gefasst, nur Elina lächelte sorglos. Robert und sein Vater waren durch die Worte des Engländers nicht überrascht.
»Alles, was mit Zauberei zu tun hat«, fuhr Hopkins fort, »hat schon immer gerade die begeistert, die nicht ans tibersinnliche glauben, vermutlich, weil ihr Leben so nüchtern geworden ist.«
»Das ist gut möglich«, sagte der Oberst. »Ich war selbst ganz überrascht, wie sehr mich diese alten Berichte gefesselt haben. Geben Sie doch zu, es wäre ein Mordsspaß, wenn plötzlich wie vor fünfhundert Jahren der berühmte schwarze Hund ins Zimmer stürzte, die Wand hinauf - und an der Decke entlangginge, um sich dann in Rauch und Schwefelgeruch aufzulösen.«
»Ich bitte Sie, so schweigen Sie doch!« rief Frau Sirven.
»Lassen Sie sich so leicht aus der Fassung bringen?« fragte Hopkins. »Aber Sie können beruhigt sein, natürlich gibt es keine Gespenster. Doch die alten Chroniken existieren nun mal. Ich habe sie ja auch gelesen. Alle Hexen und Hexenmeister sind jedoch ausgerottet und aus der Gegend verschwenden. Es befinden sich genaue Berichte über die Prozesse in den Büchern. Man hat sie alle verbrannt. Schon im Jahre 1571. Die Hexen hatten so viele Untaten vollbracht, dass man schließlich höheren Orts auf sie aufmerksam wurde. Der Anführer dieser Hexen und Zauberer hieß Horolo und hat wahrscheinlich im Hexenschloss gewohnt, von dem noch die Mauern stehen. Er war so kühn, sogar Prinzen und Königen mit seinen geheimen Künsten zu drohen, und mehrere unerklärliche Todesfälle in höchsten Kreisen sind seiner Giftmischerei zugeschrieben worden. Er hat seine Tochter mit dem Erben des Marquis de Lynx verheiratet. Übrigens hieß sie auch Elina, wie Sie …« – fügte Hopkins, an die junge Pianistin gewandt, hinzu.
Der Wind pfiff ums Haus und heulte in den Kaminen.
Catherine war sichtlich nervös, und Georges Sirven war das Gespräch äußerst unangenehm, doch er war zu höflich, um
Hopkins einfach das Wort abzuschneiden.
»Man organisierte ein regelrechtes Strafgericht«, fuhr der Engländer fort. »Alle männlichen Bewohner der Ortschaft wurden auf die Galeeren geschickt, und den Oberhäuptern der Familien wurde in Saint-Lorry der Prozess gemacht. Der Ort hatte damals eine wesentlich größere Bedeutung als heutzutage. Es war einer der spektakulärsten Prozesse in der Geschichte der Inquisition. Fürchterliche Dinge kamen ans Tageslicht. Der Chronist erklärt, dass man manche Aussagen der Angeklagten niemals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Auf Anordnung der Gerichtsbehörde wurden anschließend die Akten verbrannt. Alle Angeklagten wurden zum Flammentod verurteilt und am 11. Oktober hingerichtet. Übrigens – das ist doch ein seltsamer Zufall – vor genau vierhundert Jahren. Die Holzstöße hatte man am Rand des Teiches errichtet, und die Zuschauer waren von weither zu diesem grausigen Schauspiel herbeigeströmt. Der Marquis des Lynx, der hohe Gönner bei Hofe hatte, ist noch mit einem blauen Auge davongekommen, aber er musste nach Amerika auswandern, das man glücklicherweise ein halbes Jahrhundert zuvor entdeckt hatte. Sein Sohn hatte nicht soviel Glück. Er und die schöne Elina – es wird berichtet, dass sie ungewöhnlich schön war – sind mit den anderen verbrannt worden. Über dem Scheiterhaufen Horolos sah man zahlreiche Falken kreisen, und Elinas Scheiterhaufen entstieg plötzlich ein riesiger schwarzer Hund, der schaurig lachte. Und während die Hexenmeister und Hexen in Flammen standen, begann das Wasser im Teich zu brodeln und zu kochen, als würde sich in seinen Tiefen ein furchtbares Ungeheuer …«
Catherine entfuhr ein Schreckensschrei. Alle Blicke
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