0093 - Vlado - der Schreckliche
wollte den Kontakt nicht verlieren. Sie wollte Zamorra nah sein.
Der Professor konnte sein Amulett kaum mehr halten. Das geheimnisvolle runde Stück Metall gebärdete sich wie rasend. Und mit jedem Schritt, den sie höher stiegen, wurde dieses Toben stärker.
Zamorra glaubte, mit seinen Fingern in eine Steckdose geraten zu sein.
Er ließ das Amulett an der Kette pendeln, und die Vibrationen wurden erträglicher. Dafür schimmerte das Silber jetzt stählern blau auf. Das Schimmern pulsierte, wurde heftiger und schwächte sich wieder ab. Nicole entging die Veränderung am Edelmetall nicht. Es strahlte jetzt schon beinahe heller als Zamorras Taschenlampe.
»Mir wird schwindelig, Chef.« stöhnte sie
»Dann sind wir schon zu zweit«, antwortete Professor Zamorra trocken. »Ich fühle es auch. Wenn wir diese verdammte Wendeltreppe hinter uns haben, kommt etwas. Ich gäbe wer weiß was darum, wenn ich wüsste, was uns erwartet. Hast du eine Uhr dabei?«
»Ja«, meinte Nicole und schaute auf ihren linken Arm. »Zehn nach vier.«
»Hast du eine Ahnung, wann es hier ungefähr Nacht wird?«
»Etwas nach fünf. So stand es heute in der Mittelbayerischen Zeitung. Sonnenuntergang 17:13 Uhr. Denkst du auch an die letzten Worte dieses Tschechen, der uns gestern Nacht in die Arme gelaufen ist?«
»Pausenlos«, gestand Professor Zamorra. »Aber ich werde nicht klug aus seinen Worten. Er hat irgendetwas von der Sonne geschwafelt. Und von einem kleinen Bruder. Wie war der Name doch gleich wieder?«
»Czodi…«
Zamorra schüttelte den Kopf.
»Das sagt mir auch nichts. Czodi ist ein durchaus gebräuchlicher Männemame in der CSSR. Keine Ahnung, was der mit einem Geistwesen zu tun haben sollte.«
Plötzlich war die Wendeltreppe zu Ende. Zamorra vergaß ›Czodi‹ und ›Sonne‹, denn er war offensichtlich in einem Grab angekommen. In einer Grabesgruft, um genauer zu sein. Er machte fünf Sarkophage vor sich aus. Zwei davon waren schon von der äußeren Aufmachung her mehr als ungewöhnlich.
Die Gruft maß etwa zehn mal zehn Meter im Geviert. In der Mitte stand ein normaler Sarkophag. Flankiert wurde er von zwei weiteren steinernen Särgen, die jedoch nicht so reichen Zierrat aufwiesen.
In einer Ecke standen die beiden anderen, die Zamorras Aufmerksamkeit so gefangengenommen hatten.
Der eine schien als letzte Ruhestätte für ein Kind gedient zu haben. Doch der andere! Er war nicht nur von seinen Abmessungen her nicht anders als monströs zu nennen.
Zamorra trat näher.
»Hat man hier einen Elefanten deponiert?«, fragte er mehr zu sich selbst.
»Eher ein Pferd«, meldete sich Nicole. Auch sie hatte ihre Taschenlampe eingeschaltet und leuchtete den Sarkophag in der einen Ecke ab. »Sieh mal, Chef. Hier an der Seite. Da ist ein Pferd in den Stein gemeißelt.«
Zamorra musste seiner Sekretärin recht geben. Auch hatte er die Ausmaße des Sargs im ersten Augenblick überschätzt. Es konnte tatsächlich gut möglich sein, dass hier ein Pferd zur letzten Ruhe gebettet wurde. Doch hatte man schon jemals davon gehört, dass einem Tier ein Grabmal errichtet worden war?
Man hatte.
Zamorra fiel das Reittier Alexanders des Großen ein, dessen Kadaver man sogar sieben Monate quer durch Persien geschleppt hatte, um ihn in Mazedonien großartig zu bestatten.
Professor Zamorra sah sich in der Gruft nach brauchbaren Werkzeugen um, mit denen man eventuell die Deckel von den Sarkophagen stemmen konnte.
Er fand keine.
Während er noch ratlos herumstand, stemmte Nicole Duval sich schon gegen den Deckel des riesigen Sarkophags.
Sie war selbst überrascht, als er wie auf Kugellagern eingebettet zur Seite schwang und entgegen aller Gesetze der Schwerkraft flach im Raum hängen blieb.
Zamorra leuchtete hinein.
Tatsächlich ein Pferd.
Das Gerippe eines Pferdes. Das silberbeschlagene Sattelzeug hatte die Zeiten überdauert. Zamorras Amulett strahlte inzwischen heller als ihre beiden Taschenlampen.
Zamorra ging auf den kleinsten Steinsarg zu.
Auch dessen schwerer Deckel ließ sich mit einer Handbewegung beiseite wischen.
Wieder ein Gerippe. Bei ihm war die Kleidung intakt. Im Mittelalter hatten Hofnarren solche Gewänder angehabt. Auf dem unförmigen Kopf saß eine Schellenmütze.
Nicole war nicht untätig geblieben. Auch sie hatte es nicht die geringste Mühe gekostet, die Abdeckungen von zwei weiteren Sarkophagen wegzuschieben.
Menschliche Knochen. Die Zeiten hatten nichts mehr von den Körpern gelassen, doch die Köpfe der
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