0095 - Die Höllenkutsche
in die Kehle schüttete und Bill es ihm nachmachte.
Zwei Herzschläge später veränderte sich mein Freund. Er rollte mit den Augen, öffnete den Mund, schnappte nach Luft und ließ sich nach hinten gegen die Lehne kippen. Schweiß trat trotz der herrschenden Kälte auf seine Stirn. Er stieß undefinierbare Geräusche aus, die mich manchmal an das Krächzen von Raben erinnerten. Wild schüttelte er den Kopf, rutschte auf seinem Stuhl hin und her und spie zu Boden.
»Was ist?« fragte ich. »Hast du dich übernommen?«
Bill wollte antworten, er konnte aber nicht. Der Schnaps schien ihm die Stimme geraubt zu haben.
»Wie gesagt, es ist Selbstgebrannter«, meinte der Alte. Dabei lächelte er spitzbübisch.
Nach einer Minute fand Bill Conolly die Sprache wieder. »Teufel, ich habe ja schon viel getrunken, aber so etwas noch nicht«, gurgelte er. »Das… das darf doch nicht wahr sein. Lieber Himmel, ich werde noch wahnsinnig. Mein Gott, was haben Sie mir da nur gegeben? Schwefelsäure?«
»Nein, aber der Bärentöter hat achtzig Prozent.«
Bill nickte. »Bärentöter, das ist der richtige Ausdruck.« Er holte tief Luft. »Pfui Spinne.«
»Du mußt ja immer so gierig sein«, grinste ich.
Bill blickte mich an, als wollte er mich verprügeln.
»Gleich wird es Ihnen besser gehen«, meinte Buck Bannister. »Es ist nur der erste Schock.«
Nach einigen Minuten hatte sich der Reporter tatsächlich erholt. Er lachte sogar wieder. »Der Schnaps ist gut. Sie müssen mir mal das Rezept verraten, Mr. Bannister.«
»Aber erst nachdem er uns einige Fragen beantwortet hat«, sagte ich und schaute den Alten an. »Meiner Ansicht nach wissen Sie mehr über diese Höllenkutsche. Stimmt’s?«
Der Alte lächelte. »Möglich. Aber fragen Sie nur, Mr. Sinclair. Wir werden schon sehen…«
***
Der Friedhofswärter neben Suko stieß einen erstickt klingenden Laut aus. Er hatte sich zu weit vorgewagt, in den Sarg geschaut und das Schreckliche gesehen. Röchelnd brach er zusammen.
Suko fing ihn auf, bevor er endgültig zu Boden schlagen konnte.
Shao stand noch am Eingang. Sie machte einen Schritt nach vorn. Suko schrie sie an.
»Bleib da!«
Shao verharrte abrupt.
Suko schleifte den Friedhofswärter aus der Halle. Dann schloß er die Tür.
»Was war?« fragte Shao.
Der Chinese wischte sich über die Stirn, auf der ein dicker Schweißfilm lag. Er konnte Shao nicht direkt die Wahrheit sagen, es war zu schrecklich.
»Der Ghoul war tatsächlich hier.«
Das Mädchen nickte. »Schon gut, ich verstehe dich.«
Ein schweres Seufzen erklang vom Boden her. Der Friedhofswärter kam wieder zu sich.
Suko reichte ihm die Hand. »Können Sie aufstehen, Mr. Willard?«
»Ich… ich werde es versuchen.«
Der Chinese zog ihn in die Höhe. Willard mußte sich an die Wand lehnen, so mies ging es ihm.
Er wollte sich entschuldigen, doch Suko winkte ab. »Mir wäre es fast ebenso ergangen«, sagte er.
Willard lächelte.
Suko deutete auf die Tür. »Schließen Sie ab, es ist besser so. Und wir müssen die Polizei benachrichtigen.«
»Ja, ja.« Der Mann war noch immer völlig durcheinander.
»Was machen wir?« fragte Shao.
»Vielleicht ist dieser Grimes noch in der Nähe«, antwortete Suko. »Wir müssen ihn suchen.«
»Auf dem Friedhof?«
»Natürlich.«
»Mein Gott, das ist gefährlich«, flüsterte die Chinesin. »Ich weiß nicht, ob…«
»Laß das bitte meine Sorge sein. Wenn du willst, kannst du bei Mr. Willard bleiben.«
»Nein, nein ich gehe mit dir.«
»Und Sie?« wandte sich der Chinese an den Friedhofswächter.
»Ich schließe mich in meiner Bude ein und rufe die Polizei an.«
Suko schüttelte den Kopf. »Das mache ich. Allerdings später, nachdem ich den Friedhof durchsucht habe. So lange bleiben Sie in Ihrem Zimmer.«
Ken Willard war einverstanden.
Sie verließen das Leichenhaus. Der Friedhofswärter zitterte noch immer. Er hatte angenommen, abgebrüht zu sein, doch nun merkte er, daß dies nicht der Fall war.
Bevor Suko und Shao gingen, hielt er den Chinesen am Ärmel fest. »Sind Sie denn überzeugt, daß dieser Ghoul nicht stärker ist als Sie?«
»Ja.«
Mit dieser Antwort ließen Suko und Shao den Mann stehen und gingen ihrer Wege.
Vor der Leichenhalle gab es einen großen, mit Kies bestreuten Platz. Von ihm führte auch der Hauptweg ab, der den kleinen Friedhof praktisch in zwei Hälften teilte.
Rechts lag der alte Teil, links der neue mit den frischen Gräbern. Die meisten kaum älter als ein Jahr. Und dort
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