0096 - Asmodinas Reich
das die Schwarzblütler über unsere Welt brachten und noch bringen wollten. Ich wünschte mir, weit weg zu sein, um wenigstens den Kleinen in Sicherheit zu bringen.
»Wie heißt du denn?« fragte ich nach einer Weile.
»Marcus.«
»Das ist aber ein schöner Name. Und wie kommst du hier so allein auf die Insel?«
»Mit dem Boot.«
»Das ist aber toll. Ganz allein? Hat dir keiner geholfen?«
»Doch, mein Daddy!«
Ich schluckte, bevor ich die nächste Frage stellte. »Und wo ist dein Daddy jetzt?«
Er löste seine kleinen Arme, mit denen er bisher meine Schultern umschlungen hätte, deutete schräg nach vorn und sagte: »Daddy liegt dort. Ich habe ihn gesehen.« Er schaute mich an. »Ist er tot?«
Die Frage ging mir durch und durch. »Nein, Marcus, ich glaube nicht, daß er tot ist. Wollen wir nachschauen?«
»Ja.« Er war ganz begeistert und wollte sich losreißen. Ich hielt ihn fest, denn ich hatte Angst, daß er auf den nassen Felsen ausrutschte. Dafür nahm ich ihn auf den Arm.
»Wie heißt du?« fragte er mich.
»John.«
Jetzt lachte der Kleine, und zahlreiche Grübchen bildeten sich auf seinen Wangen. »Ich habe auch einen Freund, der John heißt.«
»Wo denn?«
»Zu Hause.«
»Und wo ist das?«
»In Glasgow.«
Der Kleine kam also aus Schottland. Ich stieg mit ihm über kleine Steine, während das kalte Seewasser meine Füße umquirlte.
»Da, liegt er«, rief der kleine Marcus.
Jetzt sah ich ihn auch.
Der Mann lag auf dem Bauch und trug einen wetterfesten halblangen Regenmantel. In regelmäßigen Abständen wurden seine Beine vom heranlaufenden Wasser umspült.
Ich stellte den Kleinen hin und drehte den Mann vorsichtig auf den Rücken.
Fast die Hälfte seines Gesichts wurde von einem dunklen Bart eingerahmt. Die Stirn war blutverkrustet, und er hielt die Augen geschlossen.
Meine Hand kroch unter die Jacke, fühlte nach dem Herzschlag.
Ich spürte ihn. Der Mann lebte. Dem Himmel sei Dank!
Der kleine Marcus stand neben uns. »Was ist mit Daddy?« fragte er.
Ich erhob mich, faßte den Mann unter beide Achseln und zog ihn aufs Trockene. »Dein Daddy schläft nur«, beruhigte ich ihn. »Er wird bald wieder aufwachen.«
Über das runde Gesicht des Jungen glitt ein befreites Lächeln, und ich freute mich mit.
Nur – was sollte ich mit dem Kleinen anfangen? Hier am Wasser konnte ich ihn unmöglich allein lassen. Mitnehmen ging auch nicht. Also warten, bis der Vater aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte.
Nur waren die Probleme damit nicht gelöst, denn nach wie vor befand sich auf dieser Insel ein Stützpunkt der Schwarzblütler. Es bestand die große Wahrscheinlichkeit, daß der Junge und auch dessen Vater mit in den höllischen Strudel hineingerissen wurden.
Tief atmete ich ein.
»Was ist denn, John?« fragte der Kleine und faßte nach meiner Hand. »Hast du Angst?«
Ich schaute auf ihn nieder. »Nein, Marcus.«
»Brauchst du auch nicht. Mein Daddy steht bald wieder auf.«
»Ja, das wird er sicher.« Ich lächelte. Der Kleine erinnerte mich an mein Patenkind Johnny. Er war der Sohn von Sheila und Bill Conolly und hatte sich in der letzten Zeit zu einem richtigen Lausburschen entwickelt. Leider hatte ich viel zu wenig Zeit, ihn zu sehen.
»John, schau mal!« Marcus’ helle Stimme unterbrach meine abschweifenden Gedanken.
Über uns, auf den schroffen Felsen, stand eine riesige Gestalt. Als Schattenriß hob sie sich vor dem vom Mondlicht beschienenen Gestein ab.
Mein Magen krampfte sich zusammen, denn ich hatte das Frankenstein-Monster erkannt…
***
Windschiefe Büsche tarnten den Höhleneingang, über dem sich der Hügel wie der Buckel eines urweltlichen Ungeheuers erhob. Er war eingerahmt von vier klobigen Steinen. Sie wirkten wie knorrige Baumstämme, die mit der Zeit versteinert waren.
Schon seit ewigen Zeiten jaulte über dem Hügel der Wind. Regen und Sturm hatten die vier gewaltigen, schwarzbläulich schimmernden Steine blankgewaschen.
Genau diese Steine waren es, die die Menschen auf den anderen Inseln fürchteten. Da sie sich auf dem höchsten Punkt der Insel befanden, konnte man sie von jedem Punkt aus sehen. Auch von See her. Wenn die Schiffe an der Insel der verlassenen Götter vorbeifuhren, bekreuzigten sich hastig die Seeleute.
Satans Zeichen, so nannte man die vier Steine. Wenn die Sonne unterging und sich nur noch knapp über dem Horizont im Westen befand, schickte sie ihre letzten Strahlen auch über diese verfluchte Insel. Dann leuchteten die Steine jedesmal in
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