0096 - Asmodinas Reich
geworden.
Drei Schritte vor dem Ungeheuer blieb ich stehen. »Laß den Jungen los!«
Es grunzte nur.
»Wir gehen auch so mit dir«, sagte ich zu ihm.
Das Monster zögerte. Es traute uns nicht. Ich spreizte die Arme noch weiter.
Das Monster stieß ein tiefes Knurren aus, daß es ganz hinten in der Kehle produzierte. Er hielt den Kleinen mit der rechten Hand fest.
Marcus zitterte, und mir brach es fast das Herz, als ich den Jungen so sah.
Dann senkte das Ungeheuer den Arm. Fast behutsam stellte es Marcus auf der Erde ab und öffnete seine Pranke.
Der Junge konnte aufatmen, ich auch.
Marcus lief auf mich zu, breitete seine kleinen Arme aus und klammerte sich an mein linkes Bein. Dort hielt er sich schutzsuchend fest. Er schluchzte.
Ich hob ihn hoch.
Die Tränen rannen über sein kleines Gesicht, während ich beruhigend auf ihn einsprach und das Monster eine ungeduldige Handbewegung machte.
Normalerweise hätte es mich getötet und auch dabei auf das Kind keine Rücksicht genommen, doch es hatte sicherlich von Asmodina den Befehl erhalten, uns in das Leichenhaus zu schaffen.
Obwohl ich davor einen Horror hatte, verspürte ich so etwas wie Neugierde.
Wir mußten vorgehen. Mit dem Jungen auf dem Arm kletterte ich die restlichen Klippen hoch und war froh, bald wieder festeren Boden unter meinen Füßen zu haben.
Ich schritt einfach los. Die Richtung war uns nicht angegeben worden, doch ich war sicher, daß das Ungeheuer uns schon dementsprechend dirigieren würde.
Ich hatte mich nicht getäuscht. Plötzlich spürte ich seine Hand auf meiner rechten Schulter und deutete das Zeichen richtig.
Ich änderte meine Richtung. Meiner Schätzung nach mußten wir uns von der Höllenkutsche fortbewegen. Am Himmel türmten sich jetzt dicke Wolkenberge, die immer öfter den Mond verdeckten. Auch der Wind rauschte stärker über das kleine Eiland. Der Wetterumschwung kündete sich mit aller Macht an.
Marcus hielt meine Hand sehr fest. Er ging neben mir, deshalb konnte ich nicht so schnell laufen und kassierte dafür von dem Ungeheuer einen Schlag in den Rücken, der mich nach vorn warf.
Wut und Zorn stiegen in mir hoch, aber aus Rücksicht auf den Jungen unterließ ich eine Reaktion.
Dafür ging ich schneller und nahm den Kleinen wieder auf den Arm, denn er konnte das geforderte Tempo nicht mithalten.
Das Monster ließ es geschehen.
Das Gelände führte bergauf. Ich schaute weit nach vorn und sah die schäumenden Brandungswellen gegen die felsige Küste rollen. Manchmal stießen Möwen wie Pfeile aus den dunklen Wolken und flogen mit schrillem Kreischen über unsere Köpfe hinweg.
Zuerst fielen mir die Steine auf.
Es waren gewaltige Monumente. Zeugen der Vergangenheit, die den Widrigkeiten der Natur getrotzt hatten.
Die Steine auf der höchsten Erhebung der Insel mußten unser Ziel sein, da war ich ganz sicher.
Ich spürte wieder die Hand des Monsters. Diesmal auf der linken Schulter.
Ich schlug die Richtung ein.
Wir schritten am Fuße des Hügels entlang. Rechts von mir ragten die beiden riesigen Steine in den nachtdunklen Himmel. Sie schillerten bläulich schwarz, und wenn das Mondlicht sie traf, blitzten innerhalb des Steingefüges zahlreiche Partikel auf, als wäre in dem Material eine Silberader eingeschlossen.
Hinter mir vernahm ich ein Grunzen.
Ich blieb stehen und setzte den kleinen Jungen ab.
Das Monster schritt an uns vorbei und schob die sperrigen Zweige eines Gebüschs zur Seite, das den Höhleneingang verdeckte.
Das Monster ließ uns vorgehen…
Ich mußte den Kopf einziehen, um die Höhle im Hügel betreten zu können. Den Jungen hielt ich jetzt an der rechten Hand.
»Ich… ich habe Angst«, flüsterte er.
Ich blieb stehen und beugte mich nach rechts. »Das brauchst du nicht, Marcus.«
»Aber es ist so dunkel.«
Himmel, ich konnte den Jungen verstehen. Auch mir klopfte das Herz bis zum Hals, und ich war einiges gewöhnt. Wie mußte es erst in dem Kind aussehen?
Völlig dunkel war es in dem Gang nicht. Die Wände strahlten ein violettes Glosen aus, das auch uns in seinen unheimlichen Schimmer tauchte.
Marcus zögerte mit dem Schritt.
»Komm, geh weiter«, flüsterte ich. »Es geschieht dir nichts, mein Kleiner.« Mit diesen Worten sprach ich mir wahrscheinlich selbst Mut zu, denn völlig davon überzeugt, den Jungen schützen zu können, war ich nicht.
Ich hatte regelrecht Pudding in den Knien, als ich weiterging. Mein Herz klopfte schneller, ich spürte die Bedrohung, die von dieser
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