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0096 - Die Seelenfänger

0096 - Die Seelenfänger

Titel: 0096 - Die Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Hartsch
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Jünger genommen, in denen er fortgelebt hatte über Jahrhunderte. Sie wollten einmal dem Bann des Obskuren entwischt — nicht wieder hineingezogen werden.
    So strömten sie nach Hause, kaum, daß sie gelobten, wenigstens Angus Mavick mitzunehmen. Auf dem Friedhof würde er seine Ruhe finden.
    Vergeblich rannte Nicole hin und her. Sie packte einen Mann am Arm, versuchte verzweifelt, die Flucht einer stämmigen Frau zu stoppen. Jeder wich ihr aus. Sie beschleunigte nur den Rückzug. Das schlechte Gewissen peitschte die Leute vorwärts. Sehr genau wußten sie, daß es ihre Pflicht und Schuldigkeit war, den verschütteten Professor freizuschaufeln. Notfalls mit bloßen Händen.
    Sie hatten ganz einfach Angst.
    Sie wagten nicht, an das Grab ein zweites Mal zu rühren.
    »Wir haben nicht so ein famoses Amulett. Uns schützt nichts, wenn wir die Gruft öffnen«, sagte jemand bedauernd und rannte zu Tal.
    »Sie verlangen wirklich zuviel. Und wozu das alles? Man kann davon ausgehen, daß Professor Zamorra plattgewalzt ist. So ein Bombardement überlebt niemand. Der Turm wird ihn niemals mehr freigeben«, gab ein anderer achselzuckend zu bedenken.
    »Ihr verdammten Feiglinge. Ihr seid gemein und undankbar!«, schluchzte Nicole. Erschöpft sank sie auf einen Findling und verbarg das Gesicht in den Händen. Sie fühlte sich machtlos angesichts des Steinhaufens, der sich dort auftürmte, wo das scheußliche Bauwerk einst seinen Platz gehabt hatte. Selbst mit Maschinen mußte es schwierig sein, das Durcheinander zu beseitigen. Einfach unmöglich.
    Jetzt gebe ich auch schon auf, stellte Nicole bitter fest. Mein Gott, wenn ich nichts für Zamorra tue, wer dann?
    Sie mußte etwas unternehmen. Sie konnte nicht die ganze Nacht dasitzen und weinen. Das brachte nichts.
    So begann sie mechanisch, Steine wegzuwälzen. Immer wieder sackte Schutt nach. Sie konnte kaum Fortschritte feststellen. Aber verbissen wühlte sie sich in den ungeheuren Stapel von Steinquadern.
    Manchmal gab es Brocken, die sie mit Aufbietung aller Kräfte keinen Inch fortbewegen konnte. Da benutzte sie ein paar dicke Stämme als Hebel. Brachte die Klötze dazu, seitwärts wegzurutschen und die Bahn freizumachen.
    Sie fragte nicht nach dem Sinn ihrer hektischen Tätigkeit.
    Dann hätte sie wahrscheinlich aufgegeben.
    Ihr erschien es bereits als ein Fortschritt, als jemand auftauchte. Zuerst erschrak sie natürlich, als sie die klagenden Flötentöne hörte. Sie dachte an den rothaarigen blinden Dudelsackpfeifer, der stumm und drohend ihre Aktionen in dem Dorf Daunton begleitet hatte. Dann bemerkte sie wohl den Unterschied in der Melodie, hörte das Instrument heraus.
    Der Junge, dem Zamorra das Tagebuch mit den ersten Hinweisen auf den Turm verdankte, tauchte auf.
    Er stand einfach da, bestaunte die Trümmerlandschaft und blies unentwegt auf seiner selbstgeschnitzten Flöte.
    »Hilfst du mir?« fragte Nicole erschöpft.
    Sämtliche Fingernägel hatte sie sich abgebrochen. Kaum ein Hautfleck auf ihren Händen, der nicht aufgeschürft war. Zweimal hatte sie sich böse die Finger geklemmt. Sie war erledigt, erschöpft, verzweifelt.
    Ungerührt schüttelte der Junge den Kopf und grinste schief.
    »Du meinst auch, daß es sinnlos ist, was?« klagte Nicole.
    Sie setzte sich.
    Dann kam ihr eine Idee.
    Sie fingerte ein paar Geldstücke aus ihrem Portemonnaie und sagte: »Die gebe ich dir, wenn du mir hilfst.«
    Der Bursche schob das primitive Musikinstrument ein und begann sinnlos mit der Aufräumungsarbeit. Nicole hatte alle Mühe, ihn in die richtige Richtung zu bugsieren und so einzusetzen, daß sie ihrem Ziel wenigstens ein wenig näherkamen.
    Sie schufteten um die Wette.
    Nicole spürte weder Müdigkeit noch Hunger noch Durst. Sie wußte jä nicht einmal, ob ihre Arbeit Erfolgt haben würde. Die Wahrscheinlichkeit, daß Zamorra mit zerschmetterten Gliedern unter den Trümmern begraben lag, schien die größte.
    Schlimmer noch: ihre Anstrengung brachte nichts. Sie wühlten Steinklötze zur Seite. Andere rutschten nach. Oder der Tunnel, der senkrecht nach unten führte, mußte verbreitert werden, damit man nicht selbst verschüttet wurde. Kurz: selbst, wenn alle Einwohner von Daunton mitgeholfen hätten, wäre es ausgeschlossen gewesen, Zamorra so schnell Hilfe zu bringen, wie es wohl notwendig war.
    Nicole näherte sich dem völligen Zusammenbruch.
    Denn mit dem Licht kam die Sonne und mit ihr die Hitze. Die Arbeit wurde zur Qual. Nicole und ihr ungeschickter Helfer

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