0097 - Das Höllentor
äußerst langsam und nur mit Standlicht. Es war keine leichte Aufgabe auf dem schmalen, steinigen Weg und in der absoluten Dunkelheit. Von links und rechts ragten die Bergkämme drohend empor, und auch vor ihnen war alles von Dunkel umhüllt. Erst nach einer knappen Stunde erreichten sie die Straße nach Azrou.
Zamorra sagte dem Gastwirt Bescheid, daß er einen der Entführten befreit hatte, den er im Haus unterbringen wollte. Der Bruder des Chefportiers in Fes war sofort einverstanden. Er ließ trotz der späten Stunde — es ging schon auf Mitternacht zu — noch ein kräftiges Essen für seine Gäste zubereiten.
Jawash beantwortete Zamorras Fragen während des Essens.
»Sind Sie durch den Ternpel geführt worden, nachdem man Sie geraubt hatte?« war die erste Frage des Professors.
»Ja, Sidi. Aber mit verbundenen Augen. Wir konnten nichts sehen. Aber ich hatte mich früher einmal, als kleiner Junge, in den Tempel der Gelben Furien geschlichen. Ich wußte, daß es nur den Eingang gab, durch den man uns führte. Und trotzdem sind wir auf der anderen Seite hindurchgegangen. Es ist, als ob die Leute Jussufs die hintere Tempelwand beiseitegeschoben hätten. Sie besteht aus hartem Granit.«
»Und wie ging es weiter?« stellte Zamorra seine nächste Frage.
»Es ging durch einen Korridor aus Stein. Das hörte man am Echo der Schritte. Ein Schacht, der zuerst nach unten führte. Ich habe Faziah, die Tochter Yamuns, einmal sprechen können, bevor sie in den Frauentempel verlegt wurde. Sie sagte, daß nach dem. Schacht eine Treppe mit Sechsundsechzig Stufen nach unten führt — wenn ich mich recht erinnere.«
Zamorra horchte auf.
»Sie sprechen von einem zweiten Tempel? Einern Frauentempel?«
»Ja, Sidi. Ben Jussuf hat für sechs seiner Lieblingsfrauen dort unten einen zweiten Tempel bauen lassen. Die Frauen sind die Gelben Furien, die Sie vor wenigen Stunden gesehen haben. Sie suchen sich die schönsten der gefangenen Mädchen zum Tempeltanz aus.«
»Und Sie wissen nicht, wie man von einem zum anderen Tempel gelangt?«
»Nein, Sidi.«
»Was haben die Gefangenen zu tun?«
»Wir mußten Wasser tragen, das durch einen weiten, langen Kanal geleitet wird. Nach Faziahs Meinung kommt es direkt von der Oase Talaf.«
»Das entspricht dem, was wir bisher geglaubt und gehört haben«, sagte Zamorra. »Wie geht der Transport vor sich?«
»Es muß mehrere Zapfstellen geben. Die Wasserrinnen verlaufen bergaufwärts. Also muß das Wasser in Behältern transportiert werden. Ich weiß nicht, wie lang die Schächte sind. Ich war zu anderen Arbeiten eingeteilt.«
»Welche Arbeiten waren das?«
»Ich gehöre zu den Steinarbeitern. Wir mußten mit Placken die Sammelbecken erweitern. Deshalb bin ich nicht bis zum Ende der Schächte gekommen. Aber ich bin sicher, daß von diesem Schacht aus auch der Frauentempel zu erreichen ist.«
»Hat man Sie gut verpflegt?« fragte Nicole dazwischen.
»Ja, Mademoiselle. Ziemlich gut. Wir mußten ja bei Kräften sein, also waren Ben Jussufs Leute dazu gezwungen.«
»Und wie steht es mit dem Sauerstoff?« fragte Zamorra wieder.
»Das hat mich die ganze Zeit überverwundert, Sidi. Die Stollen scheinen hermetisch abgeschlossen zu sein. Aber wir hatten immer genügend Frischluft. Und die Wächter hatten ständig brennende Fackeln bei sich. Es muß also Frischluftzufuhr geben.«
»Wir haben das herausgefunden«, sagte Zamorra mit einem Blick auf Nicole. »Ich fasse kurz zusammen, bevor wir uns zur Ruhe begeben: der Schacht von der Oase verläuft in Richtung zum Tempel aufwärts. Das Wasser muß also von Menschenhand transportiert werden. Der direkte Zugang vom Tempel her ist unbekannt oder nicht zu erreichen. Und wie sieht es mit dem zweiten Ausgang aus? Wir haben die vier Furien beobachtet, die aus dem Berg stiegen wie aus einer Luke.«
»Vom Wasserbecken führt ein enger Stollen dorthin, Sidi. Dort kann ein Mensch gerade aufrecht gehen.«
»Und wozu dient dieser Ausgang?«
»Wir waren inzwischen über hundertzwanzig Gefangene, Sidi«, sagte der junge Berber. »Zu viele, um hinter dem Tempel im Berg Platz zu haben. Ben Jussuf hat sich entschlossen, die Hälfte in der Höhle unterzubringen.«
»Wie breit ist dieser Stollen?«
»Es kann nur ein Mensch jeweils hinaus oder herein. Wir mußten immer hintereinander gehen.«
»Und der Ausgang?« fragte der Professor gespannt.
»Eine Metallplatte, die auf dem Bergrücken liegt. Es muß einen Mechanismus geben, um diese Platte, die als Tür
Weitere Kostenlose Bücher