0098 - Im Labyrinth der grünen Henker
Alonzo Gonzeiras’, fürchtete Nicole Duval nicht. Auch nicht die Knochenmänner.
Wohl aber Cumbacho, den Drachen der Finsternis. Wenn er merkte, was gespielt wurde, würde er sie mit einem Happen verspeisen. Und Nicole konnte sich für ihren Luxuskörper eine schönere Verwendung vorstellen, als in einem Drachenmagen verdaut zu werden.
Sie war schon im Fahrstuhl, als sie merkte, daß sie ihr Brusttuch in Gonzeiras’ Schlafzimmer vergessen hatte. Sie trug nur die cremefarbenen Shorts. Egal, dann würde sie eben den Zombie-Dienern und den grünen Henkern eine Oben-Ohne-Vorstellung geben.
Der Fahrstuhl hielt im oberen Kellergeschoß. Nicole sah einen Knochenmann mit dunkelgrünem Kapuzenumhang vor der schweren Stahltür stehen, die den Eingang zu den Kellergewölben versperrte. Er hatte die Arme verschränkt. Leere Augenhöhlen starrten sie an.
Nicoles Herz hämmerte. Jetzt mußte es sich entscheiden!
Sie ging auf den Knochenmann zu und drehte den silbernen Ring.
»Verschwinde!« rief sie auf Französisch. »Hau ab, du alter Knochenhaufen! Hast du nicht gehört, parbleu?«
Sie stampfte mit dem zierlichen Fuß auf. Der Knochenmann grollte. Dann, von einer Sekunde zur ändern, als hätte er sich in Luft aufgelöst, war er verschwunden. Nicole fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen.
Sie ruhte sich einen Moment aus. Dann öffnete sie die schwere Stahltür, genau wie sie es am Vortag bei dem Rundgang Alonzo Gonzeiras’ abgesehen hatte. Sie lief durch das große Kellerlabor, vorbei an einem Knochenmann, der sie nicht beachtete, und drei Zombie-Laboranten.
Nicole nahm den gleichen Weg wie am Vortag, denn sie wollte sich in den unterirdischen Gängen nicht verlaufen. Sie passierte jenen Raum, in dem das scheußliche Experiment mit der Mulattin vorgenommen worden war. Die Frau im weißen Dress, lag noch in ihren Fesseln auf dem Tisch, mit fürchterlich verzerrtem Gesicht, tot.
Sonst war niemand in dem Raum.
Nicole öffnete weitere Türen und eilte durch die Schatzkammern, ohne den dort aufgehäuften Kostbarkeiten einen Blick zu gönnen. Endlich erreichte sie jenes eher unscheinbare Gewölbe, in dem Alonzo Gonzeiras die Machtinsignien der Macumba-Götter barg.
Düsteres Licht erhellte es. Von dem dunklen Fleck an der Wand ging ein schwefliger Gestank aus. Nicole suchte einen Lichtschalter, fand aber keinen. Sie mußte ihre Augen an das düstere Licht gewöhnen.
In dem Gewölbe war es kalt. Eine Gänsehaut überzog im Nu Nicoles Brüste und Schenkel. Sie atmete auf, als sie die Rüstung und die Lanze Oguns, Stab und Flügel Baras und die Strahlenkrone Jaras sah. Doch zu früh.
Ein Brummen und Grollen ertönte. Das Licht wurde giftgrün und schweflig gelb. Raunen, Wispern und Gelächter ertönten. Flüsternde Geisterstimmen sprachen zu Nicole Duval.
»Sie will Cumbacho betrügen, die Närrin!«
»Seht nur, die Wahnwitzige in ihrer Dummheit! Hahahaha!«
Die Stimmen verhöhnten und verspotteten Nicole Duval. Sie verstand sie, hätte aber nicht sagen können, welcher Sprache sie sich bedienten. Nicole wollte die silberschimmernde Rüstung Oguns anheben. Sie erlebte eine herbe Enttäuschung.
Die Rüstung ließ sich nicht vom Fleck bewegen. Da nahm sie die Rückenflügel Baras, des Gottes der Straßen und Wege. Sie waren federleicht, doch als Nicole sie anhob, spürte sie eine Bewegung in den Händen, und dann lagen die Flügel wieder am gleichen Fleck.
Nicole schüttelte den Kopf. Panik wollte in ihr aufsteigen, aber sie unterdrückte sie. Die Geisterstimmen, das schaurige Licht, das Brummen und Grollen, das sich ständig wiederholte, es zerrte an ihren Nerven.
Sie faßte die mit prachtvollen Juwelen besetzte Strahlenkrone der Göttin Jara an. Und ließ sie mit einem Aufschrei wieder los. Sie hatte sich die Finger verbrannt. Nicole blies auf die schmerzenden Fingerspitzen.
Brandblasen waren keine zu sehen, es handelte sich um ein magisches Feuer. Nicole begriff, daß sie die Machtinsignien der Macumba-Götter zurücklassen mußte. Sie hatte sich zu beeilen, wenn sie noch aus der Villa verschwinden wollte.
Sie wendete sich zum Gehen. Eine eisige Kälte strahlte von dem dunklen Fleck an der Wand aus. Die Tür flog auf. Alonzo Gonzeiras erschien, die linke Hand an den schmerzenden Schädel gepreßt, das Gesicht eine haßverzerrte Grimasse. Hinter ihm drängten sich sechs kräftige Zombie-Diener. Zwei Neger, drei Mulatten, ein Weißer.
Gonzeiras deutete auf Nicole Duval. Sie wollte sich wehren, aber gegen die
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