0099 - Hexennacht
kurzen Streifen laufen.
Man sah die Dekoration hinter dem Badebassin, die leicht geschürzten Dienerinnen — sie wurden schwächer, weil die Kamera zurückfuhr —- und plötzlich war ein Teil des Hintergrundes verdeckt durch die Konturen einer weibliehen Gestalt. Man sah, wie sich die Gestalt — oder ihr heller Schatten — bewegte, den dünnen Mantel abstreifte und darüberstieg.
Die Kamera folgte den schlanken Beinen, die über das Mosaikpflaster schritten — doch man sah auch die Beine nicht, sondern nur die Umrisse — helle Schatten, die das Mosaik verdeckten.
Dann war der Streifen abgedreht.
Harriet begriff nicht.
»Das gibt es doch nicht«, fluchte der Kameramann.
»Es muß ein falscher Film eingelegt sein«, schimpfte Produktionsleiter Holloway.
Don Kelly sprang auf. »Es ist der richtige Streifen. Fassen wir doch einmal zusammen. Die Szene, die wir mit Harriet drehten, war für die Katz. Denn man sieht sie nicht. Man sieht nur ihren Schatten.«
»Das Filmmaterial ist völlig in Ordnung«, sagte Underwood, der Kameramann. »Such’ nicht die Schuld bei mir, Don.«
Es klopfte draußen. In Begleitung von Archibald Kottuschinsky trat Professor Zamorra ein.
»Mr. Kottuschinsky hat mir gestattet, bei der Filmvorführung anwesend zu sein«, sagte Zamorra. »Haben wir schon etwas versäumt?«
Er erntete bedrücktes Schweigen.
»Kommen wir zu spät?« Der Dicke rammte sich eine Zigarre zwischen die Zähne. »Los, nochmal von vorn laufen lassen, Kelly.«
Don Kelly räusperte sich. »Leider war das Filmmaterial schlecht, Mr. Kottuschinsky. Wir müssen den Streifen wegwerfen. Die Szene muß noch einmal von vorn gedreht werden.«
»Lassen Sie uns doch sehen!« schlug Zamorra vor.
»Film ab«, befahl Kottuschinsky und ließ sich auf den Sitz neben Harriet fallen.
Harriet war, seitdem sie den Filmstreifen gesehen hatte, wie im Trance.
Sie erwachte auch nicht, als der mächtige Kottuschinsky sich neben sie setzte.
Die Kamera hatte gesurrt, sie hatte die Szene so hinreißend und gekonnt gespielt wie immer. Don Kelly war höchst zufrieden gewesen — aber auf dem entwickelten Film war sie nicht zu sehen.
Hexen haben kein Spiegelbild, durchfuhr es sie entsetzt.
Dann haben Hexen auch nicht die Möglichkeit, fotografiert zu werden.
Diese Erkenntnis machte Harriet elend.
Sie bedeutete praktisch das Ende ihrer Karriere als Filmschauspielerin.
Harriet Gilbert war eine Hexe.
Zum zweitenmal lief der Streifen vor den Augen der Zuschauer ab.
Als es wieder hell im Zuschauerraum wurde, schimpfte Kottuschinsky los. »Wollt ihr mich vielleicht allesamt verarschen?« schrie er. »Was war das? Ein Witz, he?«
»Ich sagte doch, das Filmmaterial…«
»Schnauze.« Der Dicke sprang auf. »Das wird Folgen haben. Eine kostspielige Einstellung für nichts und wieder nichts gedreht. Ich lasse das untersuchen. Wurde die Einstellung denn nicht mehrmals gedreht?«
»Nein. Da geschah doch der Mord, und wir mußten abbrechen.« Don Kelly war ratlos.
Er warf einen schnellen Blick zu Zamorra hinüber, der in der hintersten Reihe saß und sich auf einem kleinen Block Notizen machte. Kelly fiel ein, was Zamorra gesagt hatte.
Allmählich, dachte er zornig, werde ich mich der Ansicht dieses Parapsychologen anschließen. Hier scheint es tatsächlich zu spuken.
Archibald Kottuschinsky spuckte Gift und Galle. Er warf dem Kameramann und Don Kelly Vertragsbruch vor und drohte mit empfindlichen Strafen und Ersatzansprüchen. Dann ging er breitbeinig hinaus.
Stumm blieben die anderen zurück. Don winkte dem Vorführer zu, den Streifen noch einmal laufen zu lassen.
Harriet Gilbert stöhnte auf und preßte die Hände vor die Augen. Sie wollte das nicht mehr sehen.
Wie aus weiter Perne hörte sie Kelly schreien: »Halt, stop… halten Sie mal an, Brownie. Ja, können Sie das Gesicht des vierten Girls im Hintergrund näher ranholen? Ja…«
Entgeistert sah Harriet auf.
Der Filmvorführer holte mit einem technischen Trick das Gesicht von June Atkins stark vergrößert auf die Leinwand.
»Unglaublich«, murmelte Don Kelly neben Harriet. »Das Mädchen ist ja ein Phänomen.«
Harriet fuhr zu ihm herum. Wieso? Was meinte er damit? Was sollte an dieser dummen Gans schon dran sein?
»Dieses Lächeln… warum ist mir die Kleine noch nie aufgefallen?«
Diese lächerlichen Frühlingsgefühle, dachte Harriet. Soll er uns doch mit seinem Sex verschonen. Sie stand auf. »Bis heute abend neunzehn Uhr also. Wir treffen uns dann in der
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