01 Arthur und die vergessenen Buecher
im 10. Jahrhundert von einem feindlichen Heer zerstört wurde und die gesamte Bibliothek verbrannte, gelang es den gelehrten Männern, die Vergessenen Bücher, wie man sie schon damals nannte, in Sicherheit zu bringen und zu verstecken.«
»Aber warum?«, unterbrach ich den Alten. »Wenn die Bücher so gefährlich sind – wäre es da nicht besser gewesen, sie wären zerstört worden?«
»Diese Frage habe ich mir auch oft gestellt. Ich glaube, den Gelehrten ging es ausschließlich darum, das Wissen zu bewahren, das in jedem dieser Bücher enthalten ist. Gefährlich sind sie ja nicht an sich, sondern nur dann, wenn sie in die falschen Hände fallen. Die Männer schworen damals einen Eid, die Vergessenen Bücher zu verstecken, damit sie keinem Unbefugten in die Hände fallen könnten. Deshalb nannten sich die Gelehrten auch der ›Bund der Bewahrer‹. Von Generation zu Generation haben sie die Geheimnisse der Vergessenen Bücher und das Wissen um ihre Verstecke weitergegeben – bis vor etwa hundert Jahren. Da verliert sich die Spur der Bewahrer im Dunkel der Geschichte.«
»Und die Spur der Bücher? Ist sie damit auch verschwunden?«
»Leider nicht. Denn seit den Zeiten der Bewahrer gibt es auch Menschen, deren einziges Ziel es ist, die Vergessenen Bücher zu finden. Sie wollen die Macht gewinnen, die diese Bücher dem verleihen, der sie besitzt. Sie nennen sich die ›Sucher‹. Niemand weiß genau, wo sie herkommen, aber sie sind heute noch aktiv. Und wenn es keine Bewahrer mehr gibt, dann haben die Sucher leichtes Spiel, sollte eines der Bücher auftauchen.«
»Heißt das, niemand passt heute mehr auf die Vergessenen Bücher auf?«
Der Bücherwurm lächelte matt. »Nein, nicht ganz. Einige von uns, die sich mit alten Büchern gut auskennen, sehen sich in der Tradition der Bewahrer. Wir verfügen zwar nicht über deren Wissen, aber wir beobachten den Markt und achten darauf, ob es irgendwo Hinweise auf eines der Vergessenen Bücher gibt.«
»Und ist das schon mal passiert?«
Der Alte nickte. »Zweimal. Und jetzt ist, wie es scheint, wieder eine Spur aufgetaucht.«
Ich erinnerte mich an den merkwürdigen Besucher. »Deshalb war auch dieser hagere Mann mit den langen Fingernägeln bei Ihnen.«
»Das war Pontus Pluribus. Er ist ebenfalls ein Sammler alter Bücher. Allerdings steht er nicht auf unserer Seite. Sein Besuch hätte mich misstrauisch machen sollen.«
»War er es, der Sie überfallen hat?«
Der Bücherwurm schüttelte den Kopf. »Pluribus ist kein Mann der Tat. Er ist wie ein Geier, der das Aas auf weite Entfernung riechen kann. Aber er hält sich in sicherer Entfernung, bis er keine Gefahr mehr für sich sieht. Nein, der Besuch von gestern Abend war jemand ganz anderes. Es waren die Jungs von Madame Slivitsky.«
Bei der Nennung dieses Namens spürte ich, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten und ich eine Gänsehaut auf den Armen bekam. Dabei hatte ich ihn nie zuvor gehört.
»Wer ist diese Madame Slivitsky?«, fragte ich.
Der Bücherwurm erhob sich und streckte vorsichtig erst das eine, dann das andere Bein. Enttäuscht von dem Ergebnis, ließ er sich in den Stuhl zurückfallen.
»Das erzähle ich dir ein anderes Mal. Jetzt geht es darum, einen Plan zu machen. Der Hinweis, von dem ich gesprochen habe, deutet nach Amsterdam. Es könnte sein, dass sich eines der Vergessenen Bücher dort befindet.«
»Warum fahren Sie dann nicht hin und suchen es?«, fragte ich. »Ich kann in der Zeit doch aufs Geschäft aufpassen.«
Der Alte seufzte und stützte seinen Kopf auf die Hände. Ein oder zwei Minuten verharrte er in dieser Position, dann blickte er auf. »So einfach ist das nicht. Ich bin zu schwach zum Reisen. Und es gibt wichtige Gründe, die mich dazu zwingen, gerade jetzt hier zu bleiben.«
»Dann schicken Sie doch jemand anderen!«, rief ich.
»Und wen?«, gab er zurück. »Das Geheimnis der Vergessenen Bücher ist viel zu gefährlich, um es herumzuerzählen. Du bist jetzt einer der wenigen, die davon wissen. Und das auch nur, weil ich dich schon lange kenne und dir vertraue. Nein, ich kann nicht irgendwen beauftragen. Es sei denn ...« Er ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen.
Ich war noch ziemlich naiv damals, deshalb begriff ich nicht sofort, worauf er hinaus wollte. »Sie kennen doch jemanden?«, fragte ich.
Er antwortete nicht sofort, sondern sah mich nur an. Dann seufzte er erneut. »Nein, das geht nicht.«
»Was geht nicht?«, rief ich.
»Ich dachte, du könntest
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