01 Arthur und die vergessenen Buecher
wurde eine Stufe lauter.
»Wollen Sie etwa behaupten, dass ich lüge, mein Herr?« Immelmann hatte seinen amtlichsten Ton angeschlagen.
»Nein, nein.« Ham machte einen Rückzieher. »Aber vielleicht sind sie wieder eingestiegen, und Sie haben das nicht bemerkt.«
»In diesem Zug geschieht nichts , was ich nicht bemerke, mein Herr. Warum sollte jemand aus einem Zug aussteigen, nur um anschließend wieder einzusteigen? Das ergibt doch keinerlei Sinn. So wenig Sinn wie Ihre Anwesenheit hier.«
»Sie sind sich also sicher?« Ham ließ nicht locker.
»Sicher ist nur eines: Wenn Sie meinen Zug nicht sofort verlassen, werde ich die Polizei rufen.«
Wir hörten Ham vor sich hin grummeln und das Geräusch sich entfernender Schritte. Es dauerte gewiss noch fünf Minuten, bis der Schaffner unser Abteil betrat.
»Ihr könnt wieder rauskommen. Ich habe ihn noch so lange beobachtet, bis er den Bahnsteig verlassen hat.«
Wir krochen aus den Schlafkojen und folgten Immelmann mit unseren Koffern zurück in den Speisewagen. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und spuckte ihn gleich wieder aus.
»Kalt!«, schimpfte er. »Und alles nur wegen dieses Kerls!«
»Danke«, sagte ich.
Immelmann sah uns durchdringend an. »Ich weiß nicht, vor wem ihr davon lauft, und ich habe so das Gefühl, dass ihr mir das auch nicht sagen werdet.« Er trug seine Tasse zur Theke herüber und stellte sie dort ab. »Ihr werdet wahrscheinlich eure Gründe haben. Aber was machen wir jetzt mit euch? Er wird bestimmt in der Bahnhofshalle auf euch warten. Das ist nicht der Typ, der so schnell aufgibt. Vielleicht sollten wir doch die Polizei rufen?«
»Nein, nein, das ist nicht nötig«, sagte ich. »Wenn wir erst mal in Bologna sind, dann befinden wir uns in Sicherheit.«
»Gibt es keinen anderen Weg, um in den Zug nach Bologna zu gelangen?«, fragte Larissa.
»Hmmm.« Immelmann überlegte. »Wartet mal einen Moment.«
Er zog sein Telefon hervor und wählte. Nach dem ersten Gespräch, bei dem es um Ein- und Ausfahrtzeiten ging, wählte er eine zweite Nummer.
»Antonio!«, rief Immelmann ins Telefon, als das Gespräch angenommen wurde. » Come stai? «
Er lauschte einen Moment. Die Stimme am anderen Ende war so laut, das wir fast jedes Wort verstehen konnten – hätten wir es denn verstehen können: Denn der Sprecher ließ einen italienischen Wortschwall auf Immelmann los.
» Piano, piano «, erwiderte der. »Du weißt doch, ich muss noch viel lernen. Senti , ich habe hier zwei bambini , die gleich mit dir nach Bologna fahren wollen. Sie können allerdings nicht am Bahnhof umsteigen. Nimmst du sie gleich draußen in Empfang?«
» Chiaro «, quäkte es aus dem Hörer an Immelmanns Ohr. »Gib mir zehn Minuten und ich bin im Zug.«
» Mille grazie , Antonio«, bedankte sich unser Schaffner. »Dafür lade ich dich beim nächsten Mal in den Hofbräukeller ein.«
Das schien Antonio gut zu gefallen. Die beiden wechselten noch ein paar Worte, dann beendete Immelmann das Gespräch.
»Ihr habt Glück«, erklärte er. »Der Eurocity nach Bologna steht schon auf dem Rangiergleis draußen bereit. Wir werden auch gleich den Bahnhof verlassen und fast nebenan halten. Dann bringe ich euch rüber in den anderen Zug. Mein Freund Antonio ist der Zugchef und wird sich um euch kümmern.«
»Günther, können wir?«, ertönte eine Stimme in der Tür. Es war der Lokomotivführer, der den Zug aus dem Bahnhof ziehen wollte. Immelmann sprang auf.
»Ihr bleibt hier sitzen, bis ich wiederkomme«, sagte er und verließ den Wagen. Kurz darauf setzte sich der Zug langsam in Bewegung und kam ein paar Minuten später zwischen anderen Zügen vor dem Bahnhof zum Stehen.
Es dauerte noch eine Weile, bis der Schaffner wieder auftauchte. »So, Kinder, wir sind bereit. Ich hoffe nur, ich tue nichts, was mir hinterher Schwierigkeiten einträgt.«
Er erwartete offenbar keine Antwort auf diese Aussage, sondern nahm Larissas Koffer und winkte uns, ihm zu folgen. Wir kletterten aus dem Waggon. Immelmann öffnete die Wagentür eines nebenan stehenden Zuges und hievte unsere Koffer hoch. Nachdem wir ebenfalls eingestiegen waren, folgte er uns und öffnete die Tür auf der anderen Seite.
»Eine kleine Abkürzung«, grinste er. »Aber der nächste Zug ist der Richtige.«
Wir sprangen wieder aus dem Waggon. Immelmann reichte mir die Koffer an. Im Wagen gegenüber ging ebenfalls eine Tür auf und ein Mann erschien. Das musste Antonio sein.
Im Gegensatz zu Immelmann passte ihm die
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