01 Arthur und die vergessenen Buecher
Besucherin durch die Ausstellungsräume. Als sie den Raum mit dem Modell verlassen hatte, gab ich Larissa ein Zeichen. Sie streifte ihre Sneaker ab und ich stellte mich in den Durchgang zum Flur.
Der Alte war immer noch in seine Zeitung vertieft. Meine Augen flogen zwischen ihm und Larissa, die gerade über das Absperrseil kletterte, hin und her. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog sie sich auf die Platte hoch. Einen Augenblick lang balancierte sie am Rand der Platte, dann machte sie auf Zehenspitzen zwei Schritte in Richtung Stadtmitte, möglichst ohne auf die Häusermodelle zu treten.
Sie ging in die Hocke und zog die Garnrolle hervor. Das eine Ende des Fadens befestigte sie an der Spitze des Torre Asinelli und begann dann, einen Turm nach dem anderen mit dem Garn zu verbinden.
Hinter mir raschelte Papier. Schnell sah ich zu dem Alten hin, der seine Zeitung soeben weglegte. Was hatte er jetzt vor? Zunächst reckte er sich, dann erhob er sich langsam von seinem Stuhl. Das roch nach Gefahr.
Mit wenigen Schritten stand ich vor dem kleinen Tisch, hinter dem er stand. Mein Ziel war klar: Ich musste ihn so lange wie möglich aufhalten.
»Sprechen Sie Deutsch?«, fragte ich mit Unschuldsmiene.
Er blickte mich fragend an. » No capisco .« Er verstand mich also nicht.
Ich versuchte es auf Englisch. » No English «, radebrechte er.
Ich zeigte auf seine Zeitung. » Calcio «, sagte ich. Seine Züge hellten sich auf. Wenn ich das italienische Wort für Fußball kannte, dann konnte ich in seinen Augen wahrscheinlich nicht so ganz daneben sein.
Wirklich interessieren tat mich Fußball nicht, aber ich kannte zumindest die Namen der wichtigsten italienischen Vereine.
»Inter, Juventus, Roma«, stammelte ich.
» Si, si «, strahlte er. » Tedesco ?«
» Si «, antwortete ich, ich bin Deutscher.
»Bayern, Werde, Salke«, zählte er auf, stolz auf seine Kenntnis unserer Bundesliga.
Mir ging langsam der Gesprächsstoff aus. Zu allem Überfluss kam aus der anderen Richtung eine weitere Museumsbesucherin heran, die sicher direkt in den Raum mit dem Modell gehen würde.
Ich überlegte fieberhaft, wie ich die Frau aufhalten konnte. Sie war inzwischen fast bei uns angekommen. Ich schätzte sie auf ungefähr 50 Jahre ein. Sie war gut gekleidet und sah aus wie eine Person, die ein Museum nicht nur aus Neugier besucht, sondern auch weiß, wie sie die Dinge, die sie dort sieht, richtig einzuordnen hat.
» Signora! «, sprach ich sie an, als sie hinter dem Alten und mir vorbeigehen wollte.
» Si? « Sie blieb stehen.
» Signora , sprechen Sie Deutsch?«, fragte ich.
Sie sah mich neugierig an. »Ein wenig«, sagte sie dann.
Ich atmete tief durch. Das war schon mal ein guter Anfang.
»Haben Sie ein Mädchen gesehen, in meinem Alter, mit kurzen schwarzen Haaren?«, fragte ich.
» Una bambina? « Sie überlegte kurz. »Nein, das habe ich nicht. Ich hatte gemerkt, nicht viele Besucher hier.«
Ich hatte mich inzwischen unauffällig zwischen sie und den Durchgang gestellt, damit sie nicht so einfach vorbei konnte.
»Ja, nichts los«, sagte ich. »Niemand will heute noch Kultur sehen.«
» Si, si «, sagte sie. Ich merkte, dass sie ungeduldig wurde und gerne weitergehen wollte.
In diesem Augenblick tauchte am Ende des Ganges einer der anderen Museumswärter auf und rief dem Alten neben mir etwas zu. Der hatte bislang dem Gespräch zwischen mir und der Frau aufmerksam gelauscht, obwohl er kein Wort verstehen konnte. Jetzt setzte er sich etwas unwillig in Richtung seines Kollegen in Bewegung.
Die Frau nützte die Gelegenheit, um an mir vorbeizugehen und den Raum mit dem Modell zu betreten. Im Eingang blieb sie erstaunt stehen und drehte sich Hilfe suchend nach dem Wärter um. Ich stand direkt hinter ihr und legte den Zeigefinger auf meine Lippen. Dabei blickte ich sie so flehentlich an, wie ich nur konnte.
» Per favore «, flüsterte ich. »Bitte, Signora, rufen Sie ihn nicht.«
Sie sah mich fragend an und trat dann in den Raum. Ich folgte ihr auf dem Fuß. Larissa stand noch immer auf dem Modell. Mit dem Fadenabwickeln war sie fertig. Jetzt betrachtete sie intensiv das Muster, das sich daraus ergab, und verglich es mit einem Stadtplan, den sie in ihren Händen hielt.
Sie blickte nur kurz auf, als die Frau und ich eintraten, und ließ sich in ihrer Arbeit nicht weiter stören.
»Was machen ihr hier?«, fragte mich die Frau mit gerunzelter Stirn.
»Es geht um ein historisches Experiment«, erklärte ich. » Un
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