01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
als sie schon auf dem Weg zur Tür waren.
»Natürlich. Sie geben mir Bescheid?«
Kincaid nickte und hielt Gemma die Tür auf. »Auf Wiedersehen.«
Gemma drehte sich noch einmal um, ehe die Tür zufiel, um ebenfalls auf Wiedersehen zu sagen. Mit einem letzten Blick sah sie Felicity Howarth allein in ihrem Wohnzimmer stehen.
Erst als sie die A24 nach Surrey erreicht hatten, sprachen sie wieder. Gemma musterte Kincaid von der Seite. Er saß locker am Steuer, eine Hand leicht auf dem Schalthebel, die Augen hinter den dunklen Gläsern der Sonnenbrille verborgen.
»Sie sind immer noch nicht überzeugt, stimmt’s?« sagte sie.
Er antwortete, ohne den Blick von der Straße zu wenden. »Nein. Aber vielleicht bin ich ja nur dickköpfig.«
»Sie glauben, sie hätte Margaret oder Theo einen Brief hinterlassen«, sagte Gemma und fügte im stillen hinzu: oder dir. Sie merkte, daß diese Frau, die in Kincaids Leben soviel Raum eingenommen und von der sie nichts gewußt hatte, sie immer neugieriger machte. Er hatte ab und zu beiläufig von Besuchen bei »jemandem im Haus« gesprochen, aber sie hatte immer angenommen, es handle sich um einen männlichen Nachbarn, jemand, mit dem er hin und wieder ein Bier trank. Welcher Art war seine Beziehung zu Jasmine Dent gewesen? Waren die beiden trotz Jasmines tödlicher Krankheit ein Liebespaar gewesen?
Wieder warf Gemma einen Seitenblick auf Kincaids Gesicht, und plötzlich fiel ihr auf, wie wenig sie von ihm wußte. Sie hatte stets den Eindruck gehabt, er ginge mit einer Anmut und Unbefangenheit durchs Leben, um die er zu beneiden war. Aber vielleicht fiel ihm doch nicht alles so mühelos zu, wie sie angenommen hatte - Jasmines Tod bereitete ihm offensichtlich Schmerz und Schuldgefühle.
Wann, fragte sie sich, hatte sie ihm je die Möglichkeit gegeben, etwas mehr darüber zu erzählen, was er tat, wenn er nicht im Dienst war? Sie hatte unentwegt von Toby gequasselt, und Kincaid hatte zugehört, als wären die Aktivitäten eines Zweijährigen absolut faszinierend. Sie mußte das seiner angeborenen Höflichkeit zuschreiben und beschloß, in Zukunft weniger egozentrisch zu sein.
»Gemma?«
Sie sah Kincaid an und errötete, weil sie sich so durchschaubar fühlte. »Ja?«
»Sie hatten eben einen so glasigen Blick. Ich dachte, Sie seien vielleicht starr vor Angst wegen meiner Fahrerei.«
»Nein«, entgegnete Gemma lächelnd. »Ich habe nur nachgedacht.« Sie sagte das Erstbeste, das ihr in den Sinn kam. »Über Felicity. Glauben Sie nicht, daß man einen sehr starken Glauben braucht, wenn man Sterbende pflegt und sich bemüht, sie irgendwie zu trösten?«
»Möglicherweise, ja. Weiter.«
Gemma hörte aus seinem Ton das Stirnrunzeln heraus, obwohl sie ihn nicht angesehen hatte. »Na ja, elf Uhr, Sonntag morgen, und Felicity hat im Garten gearbeitet - sie war nicht in der Kirche.«
»Vielleicht ist sie katholisch und war schon in aller Frühe in der Messe«, meinte Kincaid belustigt.
»Kein Makeup«, konterte Gemma, »nicht einmal der geringste Hauch Lippenstift. Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß eine Frau wie Felicity ungeschminkt zur Kirche gehen würde.«
»Gutes Argument.« Kincaid lachte, dann wurde er ernst. »Vielleicht ist der Glaube, aus dem Felicity ihre Kraft schöpft, nicht von der auffallenden Sorte.«
Sie hatten die Außenbezirke von Dorking erreicht. Kincaid zog eine Straßenkarte aus dem Seitenfach in der Tür und reichte sie Gemma. »Können Sie mal nachsehen, ob wir nach Abinger Hammer wirklich die A25 nehmen müssen?« Während Gemma die Karte ausbreitete, fuhr er fort: »Meg kommt von hier. Sie hat mir erzählt, daß ihr Vater eine Tankstelle hat. Es ist doch gar nicht so weit von London, und trotzdem hat sie, seit sie von hier fort ist, anscheinend nichts mehr von ihrer Familie gehört. Man sollte doch meinen...«
»Gleich kommt die Kreuzung«, unterbrach Gemma ihn. »A25 in westlicher Richtung nach Guildford.« Nachdem Kincaid den Kreisverkehr hinter sich gebracht hatte und in die richtige Straße eingefädelt war, sagte sie: »Entschuldigen Sie. Was wollten Sie sagen?«
»Ach, vergessen Sie’s. Denken wir lieber ans Mittagessen.«
Abinger Hammer war eher Weiler als Dorf, ein paar Läden und ein Park, durch den ein Bach floß. Theo Dents Laden »Kinkerlitzchen« befand sich an einem Knick in der Straße, direkt gegenüber der Teestube.
Gemma und Kincaid
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