01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
erste Posten mit Aussicht auf Beförderung.«
Heute morgen bin ich eine Haltestelle früher aus dem Bus gestiegen und durch den Holland Park zu Fuß gegangen. Der Wind hat die Blätter auf den Wegen vor sich hergefegt, und die Leute zogen ihre Mäntel fest um sich und gingen mit gesenkten Köpfen, aber ich war wie in einer Euphorie, als gehörte mir der Park, die Stadt, ja, als gehörte mir sogar die Zeit und ich könnte sie ausdehnen so weit ich wollte.
Es war ein herrliches Gefühl, aber gleichzeitig stand ich neben mir und betrachtete dieses Erlebnis aus der Distanz und fragte mich, ob ich es festhalten, meinem Gedächtnis für immer würde einprägen können. Die Eindrücke verblassen so rasch. Schon jetzt hat der Moment an Intensität verloren, verwischt sich, und aus der Euphorie ist Wehmut geworden.«
»Alles, was er anfängt, wird zum Desaster. Diesmal war es ein Nachtlokal, absolut der letzte Schrei, garantiert ein Erfolg. Es war nur nicht ganz die richtige Gegend, oder es war nicht genug Geld da, um die kritische Anfangsphase zu überstehen, oder sein Geschäftspartner hat den ganzen Profit abgesahnt. Immer haben die Dinge irgendeinen Haken.
Ist es meine Schuld? Wenn ich damals nicht gegangen wäre... er war nicht stark genug, um sich um May zu kümmern, als sie krank wurde. Sie ist in seinen Armen gestorben. Das wußte ich nicht. Theo hat mir erzählt, sie habe so angstvoll ausgesehen. Ich hätte für May nichts tun können,' aber Theo wäre ich vielleicht eine Stütze gewesen.«
»Ich glaube, Theo nimmt Drogen. Wie soll ich mich verhalten? Soll ich mich einmischen? Oder lieber nicht? Sein ganzes Geld ist weg; wie Sand ist es ihm zwischen den Fingern zerronnen. Jetzt arbeitet er für einen Hungerlohn im Packraum einer Galerie in Chelsea - ein Freund hat sich seiner erbarmt. Er hat mich gebeten, ihm Malstunden zu finanzieren. Was soll ich tun?«
»Ich habe John den Laufpaß gegeben. In aller Höflichkeit. Es war nicht seine Schuld. Es geht einfach nicht. Es ist nie so wie damals.«
14
Am Mittwoch morgen um neun Uhr eröffnete Dr. James Gordon die amtliche Untersuchung der Ursache von Jasmine Dents Tod. Im Gerichtssaal hing noch die Kälte der vergangenen Nacht, und die Luft roch schwach nach kaltem Zigarettenrauch. Kincaid war froh, daß die Coroner in London üblicherweise Mediziner mit juristischen Fachkenntnissen waren und man sich bei den meisten von ihnen darauf verlassen konnte, daß sie eine Leichenschau schnell und sachlich abwickeln. Auf dem Land konnten die Coroner, häufig Kleinstadtanwälte, die von der Lokalpolitik mehr verstanden als von Medizin und Jurisprudenz, manchmal der Versuchung, sich in Szene zu setzen, nicht widerstehen. Kincaid hatte schon früher mit Dr. Gordon zu tun gehabt. Er wußte, daß er gerecht, gewissenhaft und intelligent war. Gordons blaue Augen, so blaß in der Farbe wie sein gelichtetes rotblondes Haar, spiegelten scharfes Interesse. An einem alten Eichentisch voller Schrammen saß er Kincaid, Gemma, Margaret Bellamy und Felicity Howarth in dem kleinen Raum gegenüber. Alle außer Gemma waren als Zeugen geladen, und außer ihnen war niemand im Saal.
Sie warteten schweigend, während Gordon die von ihm ausgebreiteten Unterlagen studierte. Kincaid betrachtete die drei Frauen und dachte, wie klar ihre Haltung jeweils ihre Persönlichkeit ausdrückte. Gemma sah gleichzeitig entspannt und aufmerksam aus wie sie da, die Hände lose im Schoß gefaltet, auf ihrem Stuhl saß. Im grauen Licht, das durch das einzige Fenster des Raums fiel, hob sich ihr Haar mit kupfernem Glanz vom matten Oliv ihrer Jacke ab. Als sie Kincaids Blick auf sich fühlte, sah sie auf und lächelte.
Margaret war zwar einigermaßen ordentlich frisiert und gekleidet, drehte aber unablässig ein Papiertuch in den Fingern, das sich sehr schnell in seine Bestandteile auflöste. Als sie hereingekommen war, hatte Kincaid bemerkt, daß ihr Rock zipfelte, als hätten kleine Jungen sich dran hin und hergeschwungen, als er zum Trocknen aufgehängt gewesen war.
Felicity Howarth trug Anthrazitgrau statt Marineblau, und war so korrekt gekleidet wie an Jasmines Todestag, als er sie zum erstenmal gesehen hatte. Sie saß so gerade auf dem harten Stuhl, als hätte sie ein Lineal im Rücken, die Hände auf ihrer Handtasche, die mehr wie eine Aktenmappe aussah. Doch das rotblonde Haar wirkte im Gegensatz zu sonst stumpf, und die Fältchen um ihre Augen waren
Weitere Kostenlose Bücher