01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
deutlicher sichtbar. Kincaid erinnerte sich, daß Gemma ihm erzählt hatte, Felicity habe im Augenblick besonders viele Patienten zu betreuen.
»Mr. Kincaid!«
Gordons Stimme riß Kincaid aus seinen Gedanken.
»Sir?«
»Mr. Kincaid, meines Wissens waren Sie derjenige, der Antrag auf eine Obduktion stellte?«
»Das ist richtig.«
»Etwas ungewöhnlich, nicht wahr, daß ein Beamter des CID persönlich eine Obduktion beantragt?« Gordon blickte Kincaid mit blauen Augen forschend ins Gesicht, doch ehe Kincaid etwas erwidern konnte, fuhr er zu sprechen fort. »Ich nehme an, Sie haben die Akte an die Staatsanwaltschaft gesandt?«
Kincaid nickte. »Ja.«
»Und gibt es Gründe, eine strafrechtliche Verfolgung einzuleiten?«
»Noch nicht, nein.«
Gordon seufzte. »Nun, ich kann nicht viel mehr tun, als die Genehmigung zur Beerdigung zu erteilen.« Er musterte die Gesichter der Anwesenden. »Sind Angehörige der Toten hier?« Auf Kincaids Kopfschütteln zog Gordon die Augenbrauen hoch, sagte jedoch nur: »Dann werde ich den Totenschein zur Post geben.«
Kincaid spürte eine plötzliche Entspannung der Atmosphäre im Raum. Er war sich der Spannung zuvor gar nicht bewußt gewesen, und selbst jetzt konnte er ihre Quelle nicht fixieren. Meg oder Felicity? Er hielt es durchaus für möglich, daß Felicity im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit schon früher gelegentlich bei einer Leichenschau hatte erscheinen müssen. Margaret war wohl die Unerfahrenste unter ihnen, hatte vermutlich nicht gewußt, wie schnell so eine Untersuchung vorbei sein konnte und daß der Coroner keine Befugnis hatte, jemanden zu beschuldigen.
»Aber«, sagte Gordon mit Nachdruck, so daß alle Augen sich wieder auf ihn richteten, »ich würde dennoch gern einige Fragen zu meiner eigenen Beruhigung klären.«
Dieser gerissene alte Teufel, dachte Kincaid und lächelte.
»Mrs. Howarth«, sagte Gordon. »Sie haben Miss Dent am vergangenen Donnerstag besucht, ist das richtig?«
Felicity nickte. »Ja, gleich morgens. Ich habe ihr beim Baden geholfen, überprüft, ob der Katheter richtig sitzt, das Übliche eben.« Sie breitete mit hilfloser Geste die Hände aus. »Man kann im Grund für sterbende Patienten, solange sie noch aufstehen können, nicht viel tun. Man kann eigentlich nur den Fortschritt der Krankheit beobachten und dafür sorgen, daß die Patienten sich einigermaßen wohl fühlen.«
»Erschien sie Ihnen von ihrer Disposition her anders als sonst? Gab es Anzeichen einer Depression? War sie nervös?«
Felicity Howarth lächelte etwas nachsichtig. »Patienten, die an einer tödlichen Krankheit leiden, sind häufig niedergeschlagen, Dr. Gordon. Aber an diesem besonderen Tag ist mir nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Kein Anzeichen dafür, daß Jasmine mit dem Gedanken spielte, sich das Leben zu nehmen.«
Unbeeindruckt von Felicity Howarths Seitenhieb setzte Gordon seine Vernehmung fort. »Und das entsprach der täglichen Gewohnheit? Ein Besuch am Tag?«
»Ja...« Felicity hielt mit gerunzelter Stirn inne. »Das heißt, manchmal bin ich auf dem Heimweg noch einmal bei ihr vorbeigegangen, wenn ich in der Nähe einen Fall hatte. An solchen Tagen sagte ich Jasmine, daß ich vielleicht noch einmal vorbeischauen würde. Das hatte ich vergessen.«
»Und haben Sie noch einmal bei ihr vorbeigeschaut?«
»Nein.« Sie sagte es leise und mit Bedauern. »Als ich mit meinen Besuchen fertig war, war es zu spät.«
»Miss Bellamy.« Gordon richtete seinen scharfen Blick jetzt auf Meg. Kincaid sah, wie ihre Hände im Schoß zuckten. »Soweit ich gehört habe, hat Miss Dent mit Ihnen über die Möglichkeit eines Selbstmords gesprochen.«
»Ja, Sir.«
Gordon mußte sich Vorbeugen, um sie hören zu können. »War Ihnen klar, wie ernst das war, worum Miss Dent Sie da bat?«
Meg sah zu ihm. Ihr Gesicht war rot und fleckig, ihre Hände waren jetzt ruhig. »Sie hat mich ja nicht gebeten, irgend etwas zu tun. Sie wollte mich nur bei sich haben. Sie wollte nicht allein sterben. Kann das denn keiner von Ihnen verstehen?« Meg sah sie alle herausfordernd an. Keiner hielt ihrem Blick stand. Im nächsten Moment senkte sie ihren Blick wieder und sagte, die Augen auf ihre Hände gerichtet: »Es ist ja sowieso gleich. Am Ende war sie doch allein.«
»Sie waren auch am letzten Donnerstag noch einmal bei ihr?« fragte Gordon mit einer Spur Anteilnahme in der
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