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01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut

Titel: 01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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seine Bierflasche, die er sachte zwischen den Fingern hin und her drehte. »Haben Sie eine Ahnung, was neunzehnhundertsechsundvierzig in Kalkutta los war, Mr. Kincaid?« Er sah auf, und Kincaid sah, daß seine hellen blauen Augen blutunterlaufen waren. »Die Moslems, die die staatliche Trennung wollten, griffen Hindus an und töteten sie, und die Unruhen, die darauf folgten, breiteten sich wie ein Feuer in der ganzen Stadt aus. In den Geschichtsbüchern wird von den >Calcutta Killings< gesprochen.« Er prustete voll spöttischer Verachtung. »Das klingt nach Banküberfall oder einem Amokläufer in einem Supermarkt.« Mit einem zornigen Kopfschütteln sagte er: »Sie haben keine Ahnung. Ich denke mir, daß Sie im Rahmen Ihrer Arbeit genug Greuel zu sehen bekommen, aber ich wünsche Ihnen, daß Sie nie das erleben, was wir damals erlebt haben. Als es endlich vorbei war, lagen sechstausend Tote auf den Straßen. Sechstausend Tote, die langsam verwesten oder in den Feuern verbrannten, die tagelang schwelten. Der Geruch war überall. Er legte sich einem auf die Haut, auf die Zunge und hängte sich in der Nase fest.« Er trank von seinem Bier, so tief, als hoffte er, damit die Erinnerung an diesen Geruch wegzuwaschen.
      »Aber Jasmine war damals noch ein Kind«, warf Kincaid ein. »Weshalb hätte sie sich schuldig fühlen sollen?«
      »Jasmines Vater war ein kleiner Beamter, ein Schreibstubenmensch, der in dem Ruf stand, nicht besonders tüchtig zu sein. Ihm wurde die Evakuierung eines kleinen Wohngebiets anvertraut.« Der Major trank wieder einen Schluck, und Kincaid meinte zu hören, wie sich seine Rede zu verwischen begann. »Es wurde eine Katastrophe. Nur ganz wenige Familien entkamen, ehe die aufgebrachten Massen in die Straßen stürmten. Ich habe mich später gefragt, ob er nur an seine eigene Familie gedacht und die vorgezogen hat oder ob er schlicht und einfach den Schwanz eingezogen und Fersengeld gegeben hat, ohne sich um irgendwas zu kümmern.«
      Kincaid wartete schweigend auf die nächsten Worte. Er konnte sich jetzt denken, was kommen würde.
      »Ich habe drei Tage gebraucht, um meine Frau und meine kleine Tochter zu finden, und dann habe ich sie nur noch an den Kleidern erkannt. Ich will Ihnen nicht schildern, was man ihnen vor ihrem Tod angetan hatte - es ist unvorstellbar. Selbst heute noch.« Die Augen des Majors waren stark gerötet, aber er sprach immer noch langsam und nachdenklich. »Ich dachte mir nichts, als Jasmine hier einzog. Dent ist schließlich ein relativ häufig vorkommender Name. Erst als sie anfing, mir aus ihrer Kindheit zu erzählen, wurde mir klar, wer sie sein mußte.« Er lächelte. »Anfangs dachte ich, jemand da oben«, er verdrehte die Augen zur Zimmerdecke, »wolle mir einen Streich spielen. Aber je näher ich sie dann kennenlernte, desto häufiger fragte ich mich, ob sie mir vielleicht als Ersatz für meine eigene Tochter gesandt worden sei. Ich bin schon ein alberner alter Knacker.« Seine Worte waren jetzt wirklich nicht mehr deutlich. Dann sah er Kincaid direkt in die Augen und sagte etwas artikulierter: »Verstehen Sie jetzt, daß ich das Jasmine niemals hätte sagen können, Mr. Kincaid? Ich hätte ihr um keinen Preis weh tun wollen.«
      Kincaid trank den letzten Schluck Bier und stand auf. »Ich danke Ihnen, Major. Es tut mir leid.«
      Er ging hinten hinaus, stieg die Treppe zu Jasmines Wohnung hinauf und blieb oben einen Moment stehen, um in den Garten zu blicken. Die Rosen des Majors waren nur noch als dunkle Schatten sichtbar. Rosen zur Erinnerung an Jasmine und vielleicht auch an seine Frau und seine Tochter, die schon so lange tot waren. Kincaid war überzeugt, daß der Major den Schmerz über ihren Tod sein Leben lang mit sich herumgeschleppt hatte. Vielleicht hatte die Freundschaft mit Jasmine ihm endlich erlaubt, ihn langsam loszulassen.
      In dem Haus hinter dem Garten gingen die Lichter an. Durch die Fenster wirkten die erleuchteten Räume so scharf und klar wie ein Bühnenbild, und Kincaid fragte sich flüchtig, welche geheime Verzweiflung die Bewohner wohl hinter der Fassade ihrer Alltagspersönlichkeit verbargen. Jemand zog die Vorhänge zu, und der Blick in diese unbekannten Leben verdunkelte sich so rasch wie er sich gezeigt hatte. Kincaid ging fröstelnd ins Haus.
     
    »Ich habe mein Leben damit zugebracht, auf Dinge zu warten, die niemals geschahen, und nun merke ich, daß ich auf das eine, das endlich und unvermeidlich kommen wird,

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