01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
immer nur die feine Dame spielen.«
Kincaid hörte ein Lachen in Gemmas Stimme, die mit dem Erzählen der Geschichte etwas von ihrer dienstlichen Förmlichkeit verlor.
»Wie haben Sie’s denn geschafft, mit ihr allein zu sprechen? Ein Täßchen Tee?« Kincaid kannte Gemmas Geschick mit der vergessenen Handtasche, der Hilfe in der Küche - und ihre Fähigkeit, anderen die intimsten Details ihres Lebens zu entlocken.
»Hm. Evie hat mir erzählt, Cassie hätte gesagt, wenn sie, ich meine Evie, es richtig anstelle, dann würde sie es vielleicht auch noch zu etwas bringen. Evie hat sie immer nur das Biest genannt. Die beiden Schwestern scheinen nicht viel füreinander übrig zu haben.«
»Naja«, sagte Kincaid, »ich kann mir schon vorstellen, daß Cassie diese Bezeichnung in mancher Beziehung verdient. Ist das alles?«
»So ziemlich, ja, Sir. Ich hab’s alles aufgeschrieben.«
»Okay, bleiben Sie dran, Gemma. Man kannja nie wissen. Wer ist als nächstes an der Reihe?«
»Die Sterrett-Klinik, in der Hannah Alcock arbeitet.«
»Gut. Melden Sie sich, wenn Sie können. Ich muß Schluß machen. Mir schlägt gleich jemand die Tür ein.«
Kincaid riß die Tür auf. Im ersten Moment, als er noch nicht wußte, wer draußen stand, war er ärgerlich; danach machte er sich resigniert auf einige unangenehme Minuten gefaßt. Chief Inspector Nash war der Besucher, ein Bote, den nicht die Götter gesandt hatten.
»Guten Morgen, junger Freund. Zu den Frühaufstehern scheinen wir ja nicht gerade zu gehören, hm?«
»Chief Inspector Nash! Bitte, kommen Sie doch herein. Was für eine nette Überraschung.«
»Ja, das glaub’ ich.« Nash quittierte Sarkasmus mit Sarkasmus und setzte sich demonstrativ unaufgefordert auf einen der Eßzimmerstühle. Kincaid schnitt eine Grimasse, abgestoßen vom Anblick der wenigen fettigen Haarsträhnen, die quer über Nashs glänzende Glatze gelegt waren.
»Was kann ich für Sie tun, Inspector?« fragte er, da er nicht bereit war, die Gesprächseröffnung Nash zu überlassen.
»Sie wohnen ja sehr elegant hier. Vom Gehalt eines Superintendenten läßt sich offenbar gut leben.«
»Chief Inspector«, sagte Kincaid mit Betonung. »Lassen wir das doch.« Er lehnte sich leicht an das Sofa. »Was gibt es? Sie sind doch nicht hergekommen, um mir über mein Feriendomizil Komplimente zu machen.«
Nash sah ihn unverwandt an. In den kleinen schwarzen Augen glitzerte etwas, das man bei einem anderen als Humor hätte auslegen können. »Die Laborbefunde sind da. Keinerlei Fingerabdrücke auf dem Stecker, dem Kabel oder dem Heizlüfter. Sie haben anscheinend recht gehabt. Der Coroner ist nicht bereit, auf Selbstmord zu erkennen.«
Nash setzte sich bequemer auf seinem Stuhl und wechselte, wie es schien, das Thema. »Der Chief Constable hat sich bei mir gemeldet. Welch ein Glück für uns, daß Superintendent Kincaid ganz zufällig am Tatort war und sich erboten hat, uns bei unseren Nachforschungen behilflich zu sein. Sie gelten, wie er mir sagte, in den oberen Etagen als echter Wunderknabe. Aber jetzt hören Sie mir mal gut zu, junger Freund.« Nash richtete sich auf, die Bosheit jetzt unverhüllt. »Ich hab’ was dagegen, wenn Wunderknaben mir ins Handwerk pfuschen. Ich hab’ was dagegen, daß Sie angebliche Kondolenzbesuche machen, um Ihre Nase in Dinge zu stecken, die Sie überhaupt nichts an-gehen. Ihr Rang und Ihre hochgestochenen Ansichten«, er stach mit einem Finger nach Kincaid, »interessieren mich nicht im geringsten, ist das klar? Und wenn Sie sich nicht aus meinen Sachen raushalten, werd’ ich dafür sorgen, daß es Ihnen leid tut.
Für mich steht fest, wenn dieser Kerl sich nicht selbst umgebracht hat, dann hat er jemanden erpreßt und nur das bekommen, was er verdient hat. Und um herauszufinden wen, brauche ich Ihre Hilfe bestimmt nicht.«
Nash stützte seine Hände auf die Knie und beugte sich vor, als wollte er, dachte Kincaid, ihm im nächsten Moment an die Kehle springen. Aber da klopfte es plötzlich laut und heftig an die Apartmenttür. Kincaid eilte hin, um zu öffnen. Aller guten Dinge sind drei, dachte er hoffnungsvoll.
Inspector Raskin stand außer Atem auf der Schwelle. Seine Krawatte saß schief, das dunkle Haar fiel ihm fast über die Augen. »Chief Inspector Nash?« fragte er nach Luft schnappend, und als Kincaid nickte, folgte er ihm in das Apartment. Er blickte von Nash zu Kincaid und sprach
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