01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
schniefte und suchte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch. Sie mußte versuchen, sich zusammenzunehmen, um ihrer selbst wie um Emmas willen. Außerdem hatte sie eine moralische Pflicht, die sie erfüllen mußte. Sie hatte ihren Entschluß auf der Cocktailparty gefaßt. Es ging nicht an, jemanden in falschen Verdacht zu bringen. Das, was sie gesehen hatte, mußte eine andere, logische Erklärung haben, und um sie herauszufinden, gab es nur eins: fragen.
9
Kincaid schlug neben dem Schinkenspeck zwei Eier in die Pfanne und gratulierte sich zu seinem meisterlichen Umgang mit einem fremden Herd. Nach anfänglichen Einstellungsschwierigkeiten und einer kleinen Verbrennung am Daumen hatte er die Temperatur genau richtig hinbekommen und den Schinkenspeck ä point gebraten. Als im Toaströster der Toast in die Höhe sprang, wendete er die Eier, und als er Schinken und Toast auf seinem Teller drapiert hatte, waren auch die Eier fertig.
Gerade als er sich den Kaffee einschenkte, klopfte es.
Hannah Alcock lehnte an der Wand neben seiner Apartmenttür. Sie trug ihre lange Strickjacke und hielt ihren Oberkörper mit beiden Armen umschlungen. Sie war nicht geschminkt, ihre Lippen wirkten blaß im Gegensatz zu den dunklen Ringen unter ihren Augen.
»Hannah! Kommen Sie herein.« Kincaid ging ihr voraus in das Apartment und zog ihr am kleinen Eßtisch einen Stuhl heraus. »Wie geht es Ihnen? Sie sehen ziemlich müde aus heute morgen.«
»Ich habe kaum geschlafen.« Sie ließ sich auf den Stuhl fallen, als hätte es sie ihre ganze Kraft gekostet, auf den Beinen zu bleiben.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten? Toast? Kaffee?«
»Ach ja, eine Tasse Kaffee wäre schön, danke.«
Kincaid goß noch eine Tasse ein und setzte sich Hannah gegenüber. Er schob ihr Milch und Zucker über den Tisch. Sie rührte einen Moment lang ihren Kaffee um, ehe sie ihn ansah. Sie versuchte ein schwaches Lächeln. »Ich komme mir wie eine Idiotin vor, daß ich einfach so bei Ihnen hereinplatze. Ich wollte eigentlich sagen: >Wir müssen miteinander Sprechen<; aber dann habe ich gemerkt, daß das gar nicht stimmt. Ich bin diejenige, die sprechen muß.« Hannah schwieg einen Moment. Mit einem kleinen, wegwerfenden Achselzucken sagte sie dann: »Ich finde, ich schulde Ihnen eine Erklärung für mein Verhalten. Es ist nicht...«
»Wieso?« fragte Kincaid verwundert. »Ich habe wahrhaftig keinen Anlaß, über Sie zu urteilen.«
»Ach Gott, Duncan, protestieren Sie nicht. Das macht alles nur noch demütigender für mich. Dann fange ich noch an zu glauben, ich hätte mir nur eingebildet, daß zwischen uns gleich etwas da war - ich weiß auch nicht -, ein Gefühl, eine Beziehung... Das ist mir schon früher ein- oder zweimal passiert. Man begegnet einem anderen Menschen, verbringt einen Abend zusammen, stellt fest, daß man miteinander redet, als kenne man sich seit Jahren, und Dinge sagt, die man zu Leuten, die man tatsächlich schon seit Jahren kennt, niemals sagen würde.« Ihr Lächeln war wehmütig. »Ein solcher Abend ist ein seltenes Geschenk, und ich hatte so etwas überhaupt nicht erwartet.«
Wenigstens, dachte Kincaid, ist sie ehrlicher als ich. Es hatte wirklich etwas zwischen ihnen gezündet, ein Funke der Affinität, der Funke einer Möglichkeit, und es hatte ihn verletzt zu sehen, daß sie die gleiche plötzliche Vertrautheit mit Patrick Rennie geteilt hatte. Es war nicht bloße Eifersucht gewesen, sondern mehr als das, ein Gefühl verratenen Vertrauens.
»Gut, Hannah. Da stimme ich Ihnen zu.« Er sah sie aufmerksam an, bemerkte den unverändert porzellanzarten Teint und den feinen Schnitt ihrer Züge, bemerkte auch die Angespanntheit um die umschatteten Augen. »Aber es geht noch um etwas anderes, nicht wahr? Es geht nicht allein um meine empfindlichen Gefühle.«
Hannah schüttelte den Kopf schon, ehe er den Satz fertiggesprochen hatte. »Nein. Ich meine, doch. Ich weiß auch nicht.« Ihre Hand zuckte beim Sprechen, und ihr Kaffee schwappte über und bildete eine milchige Pfütze auf dem Tisch. »Es geht um Patrick. Aber es ist nicht das, was Sie glauben.« Die Art, wie Kincaid die Augenbrauen hochzog, hätte Peter Raskin alle Ehre gemacht. »Ich weiß, wie es aussieht.« Sie sah Kincaid in die Augen. »Daß ich vor lauter Torschlußpanik gleich den Kopf verliere, wenn mich ein Mann nur zweimal anschaut. Aber so ist es wirklich nicht. Lieber Gott, ich wünschte, es wäre so
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