01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
daß Patrick Rennies Leben vielleicht doch nicht ganz so glanzvoll war, wie es dargestellt wurde.
»Haben Ihr Sohn oder Ihre Schwiegertochter jemals eine Bemerkung darüber gemacht, daß ihnen im Follow-dale House etwas als sonderbar aufgefallen ist? Manchmal«, fuhr Gemma in vertraulichem Ton fort, »macht man so eine Bemerkung und vergißt sie dann völlig.«
Mrs. Rennie überlegte einen Moment. »Ich kann mich nicht erinnern. Patrick ist kein Mensch, der schlecht über andere spricht oder Klatsch weitergibt.« Obwohl der Ton durchaus milde war, fühlte sich Gemma freundlich, aber bestimmt in die Schranken gewiesen.
Sie trank ihren Tee aus und stellte Tasse und Untertasse behutsam auf das polierte Holztablett. »Ich danke Ihnen, Mrs. Rennie. Es war sehr freundlich von Ihnen, mich zu empfangen, und ich möchte Sie nicht länger aufhalten.« Sie standen beide auf, aber auf dem Weg zur Tür zögerte Gemma noch einmal. »Äh... darf ich mir vielleicht rasch die Hände waschen und mich ein wenig frisch machen, ehe ich wieder fahre?«
»Aber selbstverständlich.« Mrs. Rennie führte sie hinaus. »Die Treppe hinauf links.«
»Danke.« Gemma blieb vor dem ersten Porträt stehen. Der Junge sah fragend zu ihr hinunter. Sein blondes Haar wirkte, obwohl frisch gebürstet, widerspenstig, und die blauen Augen in dem schmalen Gesicht schienen freundlich und interessiert. Etwa zwölf oder dreizehn, vermutete Gemma. Oben, am Hals des blauen Pullis, sah man ein Stück Krawatte mit den Schulfarben. Sie fragte sich, ob Toby je so gut aussehen würde. »Das ist wirklich ein schönes Porträt. Ist das Ihr Sohn, Mrs. Rennie?«
»Ja, das ist Patrick. Es ist ein sehr gutes Bild von ihm.«
»Die Ähnlichkeit zwischen Ihnen beiden ist auffallend.«
Mrs. Rennie lachte. »O ja. Das ist unser bester Familienscherz.« Gemmas Gesicht zeigte wohl ihr Unverständnis, denn Mrs. Rennie fügte eilig hinzu: »Ach, entschuldigen Sie, ich sehe, Sie wissen nicht Bescheid.«
»Worüber, Mrs. Rennie?«
»Daß Patrick adoptiert ist.« Ihr Gesicht wurde weich. »Er war drei Tage alt, als wir ihn bekamen. Es wurde alles sehr ruhig und diskret abgewickelt, ohne das ganze Theater, das man hat, wenn man über eine Vermittlungsstelle geht. Der Anwalt meines Mannes hat alles arrangiert. Selbstverständlich haben wir Patrick die Wahrheit gesagt, sobald er alt genug war, um sie zu verstehen.«
»Nein, das wußte ich nicht.« Gemma studierte wieder das Porträt. »Die Ähnlichkeit ist wirklich bemerkenswert.«
»Vielleicht eine kleine göttliche Intervention«, meinte Mrs. Rennie, und Gemma sah in ihrem Lächeln einen Zug von Scherzhaftigkeit.
Vom Toilettenfenster aus sah Gemma in die Einfahrt hinunter. Sie hatte das Geräusch eines Autos gehört, als sie sich die Hände abgetrocknet hatte, und während sie hinunterblickte, verschwand ein hellbrauner Kombi in einer Garage seitlich vom Haus. Sie wagte es nicht, sich im oberen Stock umzusehen - die alten Holzdielen knarrten, und sie war überzeugt, jeder Schritt würde unten zu hören sein.
Die Stimmen erreichten sie klar und deutlich, als sie die Treppe hinunterstieg. »Louise, sie haben überhaupt kein Recht dazu. Es ist völlig -«
Sie drehten beide die Köpfe, als Gemma erschien. Der Mann war groß und dünn mit einem schmalen borstigen Oberlippenbärtchen, das beinahe ein Zeichen des pensionierten Soldaten war.
»Mein Mann, Major Rennie.« Louise Rennie legte ihm leicht die Hand auf den Arm, als wollte sie ihn zurückhalten.
»Ich weiß nicht, wie wir Ihnen behilflich sein können.« Sein Gesicht war rot angelaufen - kein Wunder, dachte Gemma, daß seine Frau versuchte, ihn zu beschwichtigen. »Ich bin ganz sicher, daß diese schmutzige Geschichte mit uns oder unserem Sohn überhaupt nichts zu tun hat. Wenn Sie weitere Fragen haben, können Sie sich an unseren Anwalt wenden!«
»John, das ist doch nicht nötig...«
»Wie ich Ihrer Frau schon sagte, Mr. Rennie, besteht kein Anlaß zur Beunruhigung. Fragen dieser Art gehören bei einem Mordfall zur Routine.«
Das Wort »Mord«, obwohl ruhig und gelassen ausgesprochen, brachte sie beide zum Schweigen, und in ihren Gesichtern las Gemma einen Anflug von Furcht.
»Ich habe mir Cassie Whitlakes Büro requiriert.« Peter Raskin grinste. »Ich kann nicht behaupten, daß sie es mir freundlich zur Verfügung gestellt hat. Suchen Sie sich einen unauffälligen Platz, und
Weitere Kostenlose Bücher