01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
daß er nicht wußte, wo er anfangen sollte. »Ich befinde mich in einer ziemlich unmöglichen Situation. Ich habe keine amtliche Weisung, in diesen beiden Todesfällen zu ermitteln - jedenfalls noch nicht. Aber ich kann mich auch nicht heraushalten, denn ich habe sowohl Sebastian Wade als auch Penny MacKenzie gekannt.«
Anne Percy musterte ihn mit dem gleichen ernsthaften Blick, den sie ihrem Auflauf gewidmet hatte, und Kincaid fühlte sich plötzlich unbehaglich, als könnte sein Gesicht Geheimnisse offenbaren, die er für sich behalten wollte.
»Es ist mir auch schon passiert, daß ich meine professionelle Distanz verloren habe.« Sie hatte mit diesem scheinbaren non sequitur, dachte Kincaid, genau den Kern der Sache getroffen. »Ich war heute morgen noch bei Emma, weil ich sehen wollte, ob sie ein Beruhigungsmittel haben wollte oder...«
»Wollte sie aber natürlich nicht«, unterbrach Kincaid mit einem Lächeln.
»Wie recht Sie haben! Sie war empört. Aber sie hat mit mir gesprochen. Das ist manchmal so; wenn die Leute unter Schock stehen, dann reden sie. Dann sagen sie einem Dinge, die sie normalerweise niemals preisgeben würden. Pennys Verhalten hatte Emma schon seit Monaten beunruhigt, und es schien immer schlimmer zu werden. Sie war sehr vergeßlich und manchmal richtiggehend verwirrt. Mir klingt es, als hätten sich da die Anfänge der Alz-heimerschen Krankheit gezeigt oder eine Form vorzeitigen Altersschwachsinns. Ich weiß nicht, ob es Ihnen ein Trost ist, aber die Qualität ihres Lebens hätte sich wahrscheinlich rapide verschlechtert.«
»Nein, nein, das ist mir verdammt noch mal kein Trost. Ganz gleich, wie sich ihr Leben weiterentwickelt hätte, kein Mensch hatte das Recht, es ihr einfach zu nehmen. Und ich mache mir schwere Vorwürfe. Ihr Tod hätte verhindert werden können. Sie wollte mit mir reden, aber ich habe mir nicht die Zeit genommen, ihr zuzuhören, weil es nicht mein Fall war, weil ich keine Verantwortung übernehmen wollte, weil ich sie als töricht und verhuscht einschätzte. Ich hätte es besser wissen müssen - so etwas gehört schließlich zu meiner Arbeit, Herrgott noch mal. Jetzt werden wir niemals mit Sicherheit wissen, was sie gesehen hat. An dem Abend, an dem Sebastian gestorben ist, hat Penny gewartet, bis Emma eingeschlafen war, und ist dann hinuntergegangen. Sie hatte ihre Handtasche vergessen und wollte nicht, daß Emma es merkte. Lächerlich im Grunde, aber wenn sie gewußt hat, daß Emma sich wegen ihrer Vergeßlichkeit um sie sorgte...«
»Sie glauben, Penny wurde getötet, weil sie etwas gesen hat, das Sebastians Mörder verraten hätte? Sie glauben, daß beide Morde von ein und derselben Person bedangen worden sind?«
»Emma hat mir von einer Bemerkung Pennys erzählt, die sie zufällig hörte. Deshalb glaube ich, daß Penny an jenem Abend zwei Personen gesehen hat - an einem Ort, wo sie eigentlich nicht hätten sein sollen. Hat sie sich vielleicht erinnert, wo sie ihre Handtasche gelassen hatte, und ist dann im Dunkeln in den Salon gehuscht? Hat sie vielleicht jemanden aus Cassies Büro kommen sehen?«
»Und haben diese Personen sie gesehen?« fragte Anne, auf seine Rekonstruktion eingehend.
»Ja, eben das wissen wir nicht, nicht wahr?« meinte Kincaid leise. »Aber ich glaube nicht. Sonst wäre nämlich entweder der Plan geändert worden, oder Penny wäre auf der Stelle gestorben. Diese - Person - ist ein Opportunist erster Güte. Meiner Ansicht nach war keiner der beiden Morde geplant, jedenfalls nicht im üblichen Sinn, doch beide wurden mit absoluter Skrupellosigkeit und einer Bereitschaft, beinah irrsinnige Risiken einzugehen, durchgeführt. Der Mörder hatte ungeheures Glück, daß ihm beide Male die Durchführung gelang, ohne beobachtet zu werden...«
»Außer vielleicht von Penny«, unterbrach Anne.
»Ja. Aber aus diesem Sachverhalt ergibt sich das Bild einer ziemlich merkwürdigen Persönlichkeit. Menschen, die ohne Vorsatz töten, tun das im allgemeinen im Affekt, häufig im Zorn, und bedauern ihre Tat hinterher. Die anderen, die einen Mord beabsichtigen, planen im allgemeinen sehr genau und führen ihren Plan am liebsten aus sicherer Entfernung aus, mit möglichst geringem Risiko der Entdeckung. Giftmischer sind das perfekte Beispiel.«
»Vielleicht hat diese Person größenwahnsinnige Vorstellungen von ihrer eigenen Unbesiegbarkeit.«
»Möglich, aber ich glaube nicht, daß dies willkürliche
Weitere Kostenlose Bücher