01_Der Fall Jane Eyre
wartete auf das Stichwort zum Öffnen des Portals. Das
Problem war nur, daß das Buch langsam, aber sicher seinem Ende
zuging.
Da geschah das Unglaubliche. Der Experte der Brontë-Gesellschaft,
ein gewöhnlich überaus beherrschter kleiner Mann namens Plink, war
plötzlich wie elektrisiert. »Moment mal; das ist neu! Das gab es früher
nicht!«
»Was?« rief Victor und blätterte rasch in seinem Exemplar. Und
tatsächlich, Mr. Plink hatte recht. Die Worte, die eines nach dem
anderen auf dem Papier erschienen, gaben der Handlung eine völlig
neue Wendung. Nachdem Jane der Heirat mit St. John Rivers
zugestimmt hatte, so dies Gottes Wille sei, hörte sie eine Stimme –
eine neue Stimme, Rochesters Stimme –, die aus der Ferne nach ihr
rief. Wo kam sie her, diese Stimme? Diese Frage stellten sich weltweit
an die achtzig Millionen Leser, während sie die neue Geschichte, die
sich vor ihren Augen schrieb, gebannt verfolgten.
»Was soll das heißen?« fragte Victor.
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»Ich weiß nicht«, antwortete Plink. »Das ist zwar Charlotte Brontë
pur, stand vorher aber definitiv nicht im Manuskript!«
»Thursday«, murmelte Victor. »Das muß sie sein. Mycroft, halten
Sie sich bereit!«
Begeistert lasen sie, wie Jane sich gegen Indien und St. John Rivers
entschied und beschloß, nach Thornfield Hall zurückzukehren.
Mit Mühe und Not schaffte ich es nach Ferndean und zu Rochester
zurück, bevor Jane dort eintraf. Ich überbrachte ihm die Neuigkeit im
Speisezimmer; wie ich sie im Haus der Rivers gefunden, mich unter
ihr Fenster geschlichen und mit verstellter Stimme: »Jane! Jane!
Jane!« gerufen hatte, wie Rochester es manchmal tat. Es war keine
besonders gute Imitation, doch sie erfüllte ihren Zweck. Jane bebte
geradezu vor Erregung und packte auf der Stelle ihre Sachen.
Rochester schien alles andere als begeistert. »Ich weiß nicht, ob ich
Ihnen danken oder Sie verfluchen soll, Miss Next. Der Gedanke, daß
sie mich so sieht, ein Blinder mit nur einem gesunden Arm! Und
Thornfield in Trümmern! Sie wird mich hassen, ich weiß es
bestimmt!«
»Sie irren, Mr. Rochester. Und wenn Sie Jane auch nur halb so gut
kennen, wie ich glaube, würden Sie nie und nimmer auf so eine Idee
kommen!«
Es klopfte an der Tür. Es war Mary. Sie meldete, daß Rochester
Besuch habe, der seinen Namen jedoch nicht nennen wolle.
»Herr im Himmel!« rief Rochester. »Sie ist es! Sagen Sie, Miss
Next! Ob sie mich wohl lieben könnte? So, wie ich bin?«
Ich beugte mich zu ihm hinunter und küßte ihn auf die Stirn. »Aber
natürlich. So wie jede andere auch. Mary, lassen Sie sie nicht herein;
wie ich Jane kenne, wird sie sich trotzdem nicht abweisen lassen.
Leben Sie wohl, Mr. Rochester. Ich weiß beim besten Willen nicht,
wie ich Ihnen danken soll, aber ich kann Ihnen versichern, ich werde
Sie und Jane niemals vergessen.«
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Rochester wandte den Kopf, ganz so, als wolle er am Geräusch
herausbekommen, wo ich mich befand. Er streckte den Arm aus und
drückte meine Hand. Seine Haut war weich und warm. Ich dachte
unwillkürlich an Landen.
»Adieu, Miss Next! Sie haben ein großes Herz; werfen Sie es nicht
achtlos fort. Es gibt jemanden, der Sie liebt und den Sie lieben.
Wählen Sie das Glück!«
Als Jane hereinkam, stahl ich mich rasch ins Nebenzimmer und
verriegelte lautlos die Tür, während Rochester den Arglosen mimte
und vorgab, Jane nicht zu erkennen.
»Geben Sie mir das Wasser, Mary«, sagte er. Ein Rascheln ertönte,
dann hörte ich Pilot durchs Zimmer tappen.
»Was geht hier vor?« erkundigte sich Rochester in seinem üblichen
schroffen Ton. Ich unterdrückte ein Kichern.
»Platz, Pilot!« befahl Jane. Der Hund gab Ruhe, und einen
Augenblick lang war es still.
»Mary, Sie sind es doch, nicht wahr?« fragte Rochester.
»Mary ist in der Küche«, erwiderte Jane.
Ich zog Mycrofts zerfleddertes Heft und das leicht angesengte
Gedicht aus meiner Tasche. Ich hatte zwar noch ein Hühnchen mit
Jack Schitt zu rupfen, aber das konnte warten. Ich sank erschöpft in
einen Sessel, als ein Ausruf Rochesters durch die Tür drang.
» Wer ist da? Was soll das? Wer spricht da?«
Ich spitzte die Ohren.
»Pilot kennt mich«, gab Jane fröhlich zurück, »und John und Mary
wissen, daß ich hier bin. Ich bin gerade erst gekommen!«
»Grundgütiger!« stieß Rochester hervor. »Was für eine
Sinnestäuschung ist das? Welch süßer Wahn hält mich umfangen?«
»Danke, Edward«,
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