01_Der Fall Jane Eyre
flüsterte ich, als sich das Portal in einer
Zimmerecke öffnete. Ich warf einen letzten Blick auf die Welt, in die
ich nie zurückkehren würde, und trat hindurch.
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Ein greller Blitz, sekundenlanges Rauschen, Ferndean Manor war
verschwunden, und an seiner Stelle erblickte ich den vertrauten,
schäbigen Salon des Hotels Penderyn. Bowden, Mycroft und Victor
stürmten freudig auf mich zu. Ich gab Mycroft das Gedicht und die
Gebrauchsanweisung; der machte sich sofort daran, das Tor zu den
»Narzissen« zu öffnen.
»Hades?« fragte Victor.
»Tot.«
»Sicher?«
» Hundertprozentig. «
Das Portal öffnete sich erneut, Mycroft eilte hindurch und kehrte
kurz darauf mit Polly an der Hand zurück; sie hatte einen Strauß
Narzissen im Arm und schien sich in Ausflüchten zu ergehen.
»Wir haben uns doch nur unterhalten , mein geliebter Crofty! Du
glaubst doch nicht im Ernst, daß ich mich für einen toten Dichter
interessiere, oder?«
»Jetzt bin ich dran«, sagte Jack Schitt aufgeregt und schwenkte Das
Plasmagewehr auf dem Schlachtfeld . Er legte es zu den
Bücherwürmern und machte Mycroft ein Zeichen, das Portal zu
öffnen. Sobald die Würmer ihre Arbeit beendet hatten, tat Mycroft wie
geheißen. Grinsend streckte Schitt den Arm durch die schimmernde,
weiße Öffnung und tastete nach einem der Plasmagewehre, die im
Buch so eindrucksvoll geschildert wurden.
Aber Bowden hatte andere Pläne. Er gab ihm einen leichten Stups,
und Jack Schitt verschwand schreiend in der Öffnung. Bowden nickte
Mycroft zu, und der zog den Stecker. Die Maschine verstummte, und
die Verbindung zum Buch brach ab. Jack Schitt hatte sich den
falschen Moment ausgesucht. Vor lauter Begeisterung für das Gewehr
hatte er vergessen, seine Gorillas zu rufen. Als die beiden GoliathLeute eintraten, waren Bowden und Mycroft schon dabei, das
ProsaPortal zu zerstören, nachdem sie die Bücherwürmer vorsichtig
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umgefüllt und dem Vertreter der Brontë-Gesellschaft das – jetzt leicht
veränderte – Originalmanuskript von Jane Eyre überreicht hatten.
»Wo ist Colonel Schitt?« fragte der erste der beiden Männer.
Victor zuckte die Achseln. »Er mußte kurzfristig weg. Es ging um
die Plasmagewehre.«
Die Goliath-Leute hätten vermutlich weitere Fragen gestellt, wäre
der walisische Außenminister nicht gerade in diesem Moment im
Hotel eingetroffen, um uns mitzuteilen, daß man uns nun, da der Fall
erledigt sei, aus der Republik zu eskortieren gedenke. Die GoliathAgenten protestierten, wurden jedoch bald von mehreren Soldaten der
Walisisch-Republikanischen Armee hinauskomplimentiert, die sich
von den Drohungen der beiden nicht im mindesten beeindrucken
ließen.
Wir wurden in der Präsidentenlimousine von Merthyr nach
Abertawe kutschiert. Der Vertreter der Brontë-Gesellschaft verlor
während der gesamten Fahrt kein Wort – ich spürte, daß er mit dem
neuen Schluß nicht recht zufrieden war. Als wir in die Stadt kamen,
machte ich mich aus dem Staub, rannte zu meinem Wagen und fuhr –
Rochesters Rat beherzigend – auf schnellstem Weg nach Swindon.
Um fünfzehn Uhr sollten Landen und Daisy sich das Jawort geben,
und dabei wollte ich sie nicht allein lassen.
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35.
Unser Buch geht zu Ende
Ich hatte Jane Eyre erheblich entstellt; meine »Jane!
Jane! Jane!«-Rufe an ihrem Fenster hatten das Buch für
immer verändert. Das war ein schwerer Verstoß gegen
meine Ausbildung als LitAg und alle Grundsätze, die zu
wahren ich geschworen hatte. Für mich war es nichts
weiter als ein Akt der Wiedergutmachung; schließlich
trug ich die Schuld daran, daß Thornfield abgebrannt und
Rochester verletzt worden war. Ich hatte aus Mitleid,
nicht aus Pflichtgefühl gehandelt, und das ist manchmal
auch ganz gut so.
THURSDAY NEXT
- private Tagebücher
Um fünf nach drei hielt ich mit quietschenden Reifen vor der Kirche
Unserer Heiligen Jungfrau von den Hummern, zum Erstaunen des
Fotografen und des Fahrers eines großen Hispano-Suiza, der für das
glückliche Paar bereitstand. Ich atmete tief durch, sammelte meine
Gedanken und lief mit weichen Knien die Treppe hinauf. Die Orgel
toste, und als ich vor der Tür stand, verließ mich beinahe der Mut.
Was zum Teufel machte ich hier eigentlich? Glaubte ich allen Ernstes,
daß ich nach zehnjähriger Abwesenheit wie aus dem Nichts
auftauchen konnte und der Mann, den ich einst geliebt hatte, alles
stehen und liegen lassen und mich heiraten
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