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01_Der Fall Jane Eyre

01_Der Fall Jane Eyre

Titel: 01_Der Fall Jane Eyre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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schien.
    »Sagen Sie das Codewort!« rief ich Rochester zu.
    »Wie lautet es?«
    »Süßer Wahn!«
    Rochester schrie das Losungswort. Nichts. Er schrie es noch lauter.
    Noch immer nichts. Ich hatte einen Fehler gemacht. Jane Eyre war in
    der ersten Person geschrieben. Bowden und Mycroft konnten folglich
    nur das lesen, was Jane erlebte – was wir erlebten, kam im Buch nicht
    vor. Das hatte ich nicht bedacht.
    »Was jetzt?« fragte Rochester.
    »Ich weiß nicht. Achtung!!! «
    Bertha stürzte wie eine Furie an uns vorbei zur Tür, gefolgt von
    Hades, der die Gebrauchsanweisung offenbar so dringend
    zurückhaben wollte, daß er Rochester und mich darüber fast vergessen
    hatte. Wir liefen hinter ihnen her auf den Korridor, doch das
    Treppenhaus war unterdessen eine regelrechte Flammenwand, und
    Hitze und Rauch drängten uns zurück. Hustend und mit tränenden
    Augen flüchtete sich Bertha aufs Dach, dicht gefolgt von Hades,
    Rochester und mir. Die frische, kühle Luft war eine Wohltat. Bertha
    lief uns voran auf das Bleidach des Ballsaals. Wir konnten sehen, wie
    sich das Feuer unten ausgebreitet hatte. Die stark gewachsten Möbel
    und Fußböden versorgten die hungrigen Flammen mit immer neuer
    Nahrung; nur noch wenige Minuten, und das große, zundertrockene
    Haus war ein Inferno.
    Die Irre vollführte einen trägen Tanz in ihren Nachtgewändern; eine
    trübe Erinnerung, vielleicht, an eine Zeit, da sie noch eine Dame
    gewesen war, himmelweit entfernt von dem traurigen, jämmerlichen
    Dasein, das sie jetzt fristete. Sie knurrte wie ein Tier im Käfig und

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    bedrohte Hades mit der Schere, als er fluchend die Rückgabe des
    Heftes forderte, mit dem sie ihm höhnisch vor der Nase
    herumwedelte. Rochester und ich sahen zu; das Splittern der Scheiben
    und das Brüllen des Feuers durchbrachen die Stille der Nacht.
    Weil Rochester es nicht über sich brachte, untätig herumzustehen
    und seiner Frau und Hades bei ihrem Danse macabre zuzuschauen,
    verpaßte er Hades mit der zweiten Pistole eine Kugel ins Kreuz.
    Hades wirbelte herum, unverletzt, doch außer sich vor Zorn. Er zog
    seine Waffe und feuerte mehrmals auf Rochester; ich brachte mich
    hinter einem Kamin in Sicherheit. Bertha nutzte die Gelegenheit und
    rammte Hades die Schere bis zum Anschlag in den Arm. Er schrie auf
    vor Schreck und Schmerz und ließ die Waffe fallen. Bertha tanzte
    glücklich um ihn herum und fing wild an zu gackern. Hades sank in
    die Knie.
    Ich hörte ein Stöhnen hinter mir und wandte mich um. Eine von
    Acherons Kugeln hatte Rochesters Handteller durchbohrt. Er zog ein
    Taschentuch hervor, und ich half ihm, es um seine zerschmetterte
    Hand zu wickeln.
    Als ich mich wieder umdrehte, sah ich gerade noch, wie sich Hades
    die Schere aus dem Arm riß; sie segelte durch die Luft und landete
    nicht weit von mir entfernt. Im Nu hatte er seine alte Kraft
    zurückgewonnen und stürzte sich wie ein Löwe auf die unselige
    Bertha. Er packte sie an der Kehle und entriß ihr das Heft. Dann
    stemmte er sie in die Luft und hielt sie hoch über seinen Kopf,
    während sie einen Schrei ausstieß, der selbst das Brüllen des Feuers
    noch übertönte. Einen Augenblick lang zeichneten sich ihre
    Silhouetten gegen die Flammen ab, die zuckend in den Nachthimmel
    schlugen, dann trat Hades mit zwei raschen Schritten an die Brüstung
    und warf Bertha vom Dach; ihr Kreischen verstummte erst, als sie drei
    Stockwerke tiefer mit einem dumpfen Schlag aufprallte.
    Hades trat von der Brüstung zurück und fuhr mit loderndem Blick
    zu uns herum.
    »Süßer Wahn, hä?« Er lachte. »Jane ist zu ihren Verwandten
    gefahren und hat die Handlung mitgenommen. Und ich habe die
    Gebrauchsanleitung!«

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    Er fuchtelte mit dem Heft, schob es sich in die Tasche und hob seine
    Waffe auf.
    »Wer schießt zuerst?«
    Ich drückte ab, doch Hades fischte die heransausende Kugel mit der
    bloßen Hand aus der Luft. Er öffnete die Faust; das Geschoß hatte sich
    in eine winzige Bleischeibe verwandelt. Er lächelte, und hinter ihm
    stoben Funken in den Himmel. Ich schoß noch einmal; wieder fing er
    die Kugel.
    Der Schlitten meiner Automatik ging in Ladestellung: Das Magazin
    war leer und wartete auf Nachschub. Zwar hatte ich durchaus noch
    Munition, aber das spielte keine Rolle mehr. Ich mußte dem
    Unvermeidlichen ins Auge sehen: Bisher war alles gutgegangen, ich
    hatte länger als jeder andere überlebt und alles menschenmögliche
    getan. Doch jetzt hatte mein Glück mich

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