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01_Der Fall Jane Eyre

01_Der Fall Jane Eyre

Titel: 01_Der Fall Jane Eyre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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LiteraturVerkaufsautomat – brachte Richard III. Sie bestand aus einem
    schmucklosen Kasten, dessen obere Hälfte durchsichtig war. Im
    Inneren sah man den Torso einer Puppe im jeweils passenden Kostüm.
    Für zehn Pence gab die Maschine eine kurze Shakespeare-Passage
    zum besten. Die Dinger wurden seit den dreißiger Jahren nicht mehr
    hergestellt und galten inzwischen als Rarität; die Zerstörungswut der
    Baconier sowie mangelnde Pflege und Wartung hatten ihren
    Untergang beschleunigt.
    Ich fischte ein Zehnpencestück aus der Tasche und warf es ein.
    Sirrend und klickend erwachte die Maschine zum Leben. Als ich noch
    ein Kind gewesen war, hatte an der Commercial Road ein HamletAutomat gestanden. Mein Bruder und ich bettelten unsere Mutter

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    dauernd um Kleingeld an und lauschten der Puppe, die lauter Sachen
    sagte, die wir nicht verstanden. Sie erzählte uns vom »unentdeckten
    Land«. In seiner kindlichen Naivität meinte mein Bruder, er wolle
    dieses Land besuchen, was er siebzehn Jahre später dann auch tat,
    sechzehnhundert Meilen von daheim, begleitet vom Donnern der
    Panzermotoren und dem bumm-bumm-bumm der russischen Artillerie.
    Ward je in dieser Laun ein Weib gefreit? fragte die Puppe, wild mit
    den Augen rollend, streckte einen Finger in die Luft und zuckte hin
    und her.
    Ward je in dieser Laun ein Weib gewonnen?
    Sie machte eine Kunstpause.
    Ich will sie haben, doch nicht lang behalten …
    »Verzeihung?«
    Ich blickte auf. Einer der Studenten war neben mich getreten und
    hatte mich am Arm berührt. Er trug einen Peace-Button am Revers,
    und auf seiner riesigen Nase saß ein gefährlich krängender Kneifer.
    »Sind Sie nicht Next?«
    »Wie bitte?«
    »Corporal Next, Leichte Panzerbrigade.«
    Ich massierte mir die Stirn.
    »Ich bin nicht mit dem Colonel hier. Das war reiner Zufall.«
    »Ich glaube nicht an Zufälle.«
    »Ich auch nicht. Ist das nicht ein Zufall?«
    Der Student sah mich verwirrt an, während seine Freundin zu uns
    trat. Er stellte mich ihr vor.
    »Sie sind doch die Frau, die aufs Schlachtfeld zurückgefahren ist«,
    staunte sie, als sei ich ein seltener ausgestopfter Papagei. »Sie haben
    einen direkten Befehl mißachtet. Sie sollten dafür vors Kriegsgericht
    gestellt werden.«
    »Wurde ich aber nicht.«

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    »Weil die Owl on Sunday von der Sache Wind bekam. Ich habe Ihre
    Aussage vor der Untersuchungskommission gelesen. Sie sind gegen
    den Krieg.«
    Die beiden sahen sich an, als könnten sie ihr Glück kaum fassen.
    »Wir brauchen noch jemanden, der bei Colonel Phelps’
    Versammlung spricht«, sagte der junge Mann mit der großen Nase.
    »Jemanden von der Gegenseite. Der dabei war. Und der einen Namen
    hat. Würden Sie uns helfen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Ich sah mich um, in der Hoffnung, daß wie durch ein Wunder mein
    Chauffeur erschienen war. Vergeblich.
    … den ich, fuhr die Puppe fort, vor drei Monden zu Tewkesbury in
    meinem Grimm erstach?
    »Paßt auf, Leute, ich würde euch ja gern helfen, aber ich kann nicht.
    Ich versuche seit zwölf Jahren, das alles zu vergessen. Sucht euch
    einen anderen Veteranen. Es gibt Tausende von uns.«
    »Aber keine wie Sie, Miss Next. Sie haben den Angriff überlebt. Sie
    haben Ihre gefallenen Kameraden da rausgeholt. Sie sind eine von den
    einundfünfzig. Es ist Ihre verdammte Pflicht , im Namen der Toten zu
    sprechen.«
    »Unsinn. Ich bin einzig und allein mir selbst verpflichtet. Seit dem
    Angriff der Leichten Brigade versuche ich, damit zurechtzukommen,
    daß ich ihn überlebt habe. Ich stelle mir jeden Tag und jede Nacht
    dieselbe Frage: Warum ich? Warum lebe ich, während die anderen,
    unter ihnen mein eigener Bruder, sterben mußten? Auf diese Frage
    gibt es keine Antwort, und damit fängt der Schmerz erst an . Ich kann
    euch nicht helfen.«
    »Sie brauchen ja nicht unbedingt zu sprechen«, drängte das
    Mädchen, »aber halten Sie es nicht auch für besser, eine alte Wunde
    aufzureißen statt tausend neuer?«
    »Komm mir bloß nicht auf die moralische, du kleine Schlampe«,
    sagte ich mit erhobener Stimme.

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    Das verfehlte seine Wirkung nicht. Sie drückte mir ein Flugblatt in
    die Hand, nahm ihren Freund am Arm und zerrte ihn mit sich davon.
    Ich schloß die Augen. Mein Herz hämmerte wie das Bumm-BummBumm der russischen Geschütze. So laut, daß ich glatt überhörte, wie
    ein Streifenwagen neben mir hielt.
    »Miss Next?« fragte eine fröhliche Stimme.
    Ich drehte mich um, nickte dankbar und schleppte meinen

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