01 - Der Geist, der mich liebte
vielleicht ein wenig bieder und allein deshalb ein starker Gegensatz zu Tess' schrillem Äußeren.
»Sag mal, Tess, treffen wir uns heute Abend?« Er zog zwei Strohhalme aus seiner Schürzentasche und legte sie neben unsere Gläser. »Vielleicht um acht?«
»Tut mir leid, Fletch, heute geht's nicht.«
»Wie wäre es dann mit morgen?«, hakte er nach.
Tess schüttelte den Kopf. »Vielleicht nächste Woche.«
»Okay.« Alles Selbstbewusstsein schien plötzlich aus seiner Stimme gewichen zu sein. Mit hängenden Schultern nickte er uns noch einmal zu und kehrte hinter den Tresen zurück. Nicht ohne Tess von dort immer wieder mit derart sehnsüchtigen Blicken zu beschießen, dass er mich an einen treuen Hund erinnerte.
»Dein Freund?«, fragte ich, kaum dass er den Tisch verlassen hatte.
»Nein. Das war Mike Fletcher. Rose' Sohn. Der läuft mir schon seit der Junior High nach.«
»Aber du magst ihn nicht?«
Tess grinste. »Doch, er ist süß.«
Ungläubig starrte ich sie an. »Du findest ihn süß und lässt ihn abblitzen?«
»Kerle sind doch alle gleich. Sobald sie bekommen, was sie wollen, lässt ihr Interesse nach und irgendwann sind sie weg.« Tess zog ihren Strohhalm aus der Papierhülle und versenkte ihn im Glas. »Auf diese Weise halte ich ihn bei der Stange.«
»Interessante Betrachtungsweise.« Ich dachte darüber nach, ob ich noch etwas dazu sagen sollte, entschied mich dann aber, lieber den Mund zu halten. In Liebesdingen war ich wohl kaum der geeignete Ratgeber. Bisher hatte ich noch nicht einmal eine feste Beziehung gehabt. Natürlich ging ich aus und traf mich auch mit Männern. Aber bisher war mir noch keiner begegnet, mit dem ich es länger als ein paar Abendessen und Clubnächte ausgehalten hätte. Seit ich klein war, liebe ich Märchen. Vermutlich hat das meine Vorstellung von Traummännern für den Rest meines Lebens verdorben. Es dürfte ziemlich schwer werden, einen Prinzen mit weißem Ross zu finden. Naja, so riesig waren meine Ansprüche auch wieder nicht. Pferd und Königreich waren zumindest keine Einstellungsvoraussetzungen. Gewisse Eigenschaften musste dieser Märchenprinz aber schon haben. Zu dumm nur, dass ich die nicht einmal selbst richtig benennen konnte. Ich konnte nur sagen, dass die Männer, die ich bisher getroffen hatte, sie nicht besaßen. Sue war der Meinung, ich würde immer viel zu schnell aufgeben und solle die Männer nicht gleich nach zwei oder drei Dates
abschießen. Vielleicht hatte sie sogar Recht. Aber wozu denn Zeit verschwenden und darauf hoffen, dass ich mich doch noch verlieben würde, wenn ich nicht einmal ansatzweise Herzklopfen bekam? Tatsächlich war ich noch nie wirklich verliebt gewesen. Ich hatte viele Frösche geküsst und alle waren Frösche geblieben.
Noch während ich meinen Gedanken nachhing, brachte Rose die Burger. Sie waren wirklich lecker, vielleicht die besten, die ich je hatte. Selbst als wir längst aufgegessen hatten, saßen Tess und ich noch zusammen und redeten.
Tess war zwei Jahre jünger als ich. Gleich nach ihrem Highschool-Abschluss hatte sie in der Bibliothek zu arbeiten begonnen und war von zu Hause ausgezogen. Sie träumte davon, in einer Großstadt - welche, schien ihr tatsächlich egal zu sein - auf ein College oder eine Uni zu gehen, doch ihr fehlte das nötige Geld. Ihre Eltern hatten auch nicht genug, um sie zu unterstützen. Im Augenblick versuchte sie auszuloten, in welcher Stadt ihre Chancen am besten standen. Dort wollte sie sich einen Job suchen und ein Abendstudium beginnen. Sie wollte Parapsychologin werden.
»Du willst unheimliche Phänomene erforschen?«
Tess nickte begeistert. »Telekinese, okkulte Phänomene, Geistererscheinungen. All das!«
Ich musste an Tante Fionas Haus denken. »Glaubst du an Geister?«
»Zwischen Himmel und Erde gibt es mehr, als wir mit bloßem Auge sehen können«, verkündete sie im Brustton der Überzeugung.
Angesichts meiner Erlebnisse von letzter Nacht war ich beinahe geneigt, ihr zuzustimmen. »Bist du schon mal einem Geist begegnet?«
»Bis jetzt leider nicht.« Tess zog eine Grimasse. »Aber das heißt ja nicht, dass sie nicht existieren. Einen Filmstar hab ich auch noch nicht getroffen und die sollen sehr real sein.«
Auch eine mögliche Erklärung. Ich grinste, wurde aber rasch wieder ernst. Für einen Moment war ich tatsächlich versucht, ihr von den seltsamen Vorgängen im Haus zu erzählen - und von dem Friedhof dahinter. Doch sicher war nichts dran. Die Kälte war ein
Weitere Kostenlose Bücher